Release March 7, 2020
EAN/UPC: 705304460429
Traumton CD: 4604
Lineup
Rabih Lahoud: vocals Marcus Rust: flugelhorn, trumpet Clemens C. Pötzsch: piano Demian Kappenstein: drums, percussion
Published by Traumton Musikverlag
Recorded and mixed by Martin Offik at Traumton Studios, Berlin
Mastered by Wolfgang Loos at Traumton Studio, Berlin
Produced by Masaa and Martin Offik
Info / Info english
Masaa – Afkar
Vor 30 Jahren war es ein Libanese, der erstmals Maßstäbe in der Verbindung von arabischer Tradition und westlichem Jazz setzte. Eine Generation nach dem Durchstarten des Oudmeisters Rabih Abou-Khalil haben sich die Bedingungen für Teamworks zwischen Orient und Okzident geändert. Brückenschläge sind nichts Exotisches mehr. Sie stehen nun unter dem Vorzeichen eines selbstverständlichen Austauschs, der kreative Fluss fördert eine immense Palette von musikalischen Perspektiven zutage, schafft ganz neue Heimaten in und durch Musik. Die mutige Speerspitze dieser neuen Begegnungsqualitäten bildet das Quartett Masaa – und mit dem Poeten, Komponisten und Sänger Rabih Lahoud steht im Fokus wiederum ein Mann mit Wurzeln im Libanon.
Wie so oft in der Musikgeschichte entstehen kreative Höhenflüge durch ein zufälliges Aufeinandertreffen – so auch im Falle der deutsch-arabischen Konstellation von Masaa: Trompeter Marcus Rust spielt 2010 in Schwerin bei einem Bigband-Konzert und begegnet dort Rabih Lahoud. Dessen Name ist ihm schon durch seinen Lehrer Markus Stockhausen vertraut, der ihm von seinem neuen Projekt Eternal Voyage mit dem gebürtigen Libanesen erzählt hat. Rust ist so begeistert von Lahouds Vokalkünsten, dass er ihn seinen Kollegen Clemens Pötzsch (p) und Demian Kappenstein (perc) vorstellt.
Dabei ist für Lahoud die künstlerische Arbeit mit seiner Muttersprache noch frisch: Nach langer Vorliebe für die Musik des Westens und ein klassisches Pianostudium tastet er sich erst in der deutschen Ferne neugierig und behutsam an seine Wurzeln heran. Findet einen Ort des Wohlfühlens und Schönheit im Klang des Arabischen, das er von seinen Regeln befreit, jedem Wort eigene Kraft zuspricht. Es ist förderlich für die Chemie der frischgebackenen Band, dass auch die anderen Drei Suchende sind: Durch einen Indienaufenthalt geprägt, begeistert sich Rust für die direkte Emotionalität traditioneller Musik, bringt sie mit Jazz und Improvisation zusammen. Mit den gleichen Verbindungen arbeitet Pötzsch, der durch sein sorbisches Erbe die Töne des Ostens in seinem melodischen Spiel aufblitzen lässt. Und auch Kappenstein ist ein Reisender, der auf dem Schlagwerk seine Erfahrungen zwischen Taiwan und Türkei, Israel und Deutschland einfängt.
„Improesie“ nennt die Band liebevoll das, was sich im Studio ereignet, wenn der schöpferische Akt in Gang kommt: Zuweilen improvisiert Lahoud seine Texte über den Kompositionen seiner Kollegen, umgekehrt wird durch die poetischen Bilder der Verse oder rein durch den Klang der fremden Sprache die Improvisation der Instrumentalteile angeregt. Aus diesem „Schneeball“-Verfahren heraus erwächst das hochgelobte erste Album „Freedom Dance“. Da sind die vier Musiker für ihren unorthodoxen Umgang mit Orient Jazz schon mit dem Bremer Jazzpreis ausgezeichnet, überzeugen auf europäischen, libanesischen, schließlich sogar auf afrikanischen Bühnen. „Masaa tanzt den Freiheitstanz so selbstbewusst und entfesselt, wie das in den heutigen Zeiten des Misstrauens und der Feindschaft zwischen weit auseinander liegenden Weltanschauungen nur möglich ist“, jubelt das Magazin Jazzpodium.
Auf ihrem neuen Werk „Afkar“ loten Masaa noch mehr Freiheiten aus: Ihre Klangsprache hat sich ein Stück weiter vom Jazz emanzipiert, gibt sich sinnlicher, herzblutender, die Verschmelzung von Tänzerischem und Ungebundenem, von Tradition und Experiment hat eine neue organische Stufe erreicht. Lahouds Stimme mutet noch voluminöser und expressiver an, der Fluß der improvisatorischen Ideen und Gedanken – so die Bedeutung des arabischen Wortes „Afkar“ – führt im Zusammenspiel der Vier zu bislang unbekannten Ufern.
Mit innigem Gesang und fragenden Pianoeinwürfen startet der Songzyklus, doch schließlich wandelt sich das Eingangsstück „Aruz“ zu einem hymnischen, fast folkloristischen Tanz mit behend galoppierendem Schlagzeug und dem weichen, die Stimme umfließendem Trompetenklang. Es sind diese unverhofften, überraschenden Wandlungen, von denen das ganze Album lebt: Das Titelstück, in den Versen voll fürsorglicher Zweifel, schwingt sich aus lyrischem Sprechgesang zu einem Schrei des Herzens empor und dann zu inspirierter, freier Impro des Kollektivs. Aus einem unter die Haut gehenden Sologesang schält sich in „Hiwar“ ein überschäumendes Finale mit Anklängen an die ungerade Balkanmetrik heraus.
Meditative Momente mit sonorer Stimme und versonnener Trompete ergreifen den Hörer in Gestalt von „Mira“ und „Baladi“, zarte Naturpoesie mit Regentropfen von den Tasten durchzieht das feingliedrige „Hlam“. Genauso impressionistisch das verknappte, fast einem Haiku gleiche Naturbild von „Reflexion“, in dem sich Lahoud erstmals an die französische Sprache wagt. Ein Hauch von Cool Jazz mit gestopfter Trompete siedelt im soghaft kreisenden „Layali“ zu den dunklen Grooves von den Tasten.
Und da sind auch die sperrigen, herausfordernden Passagen: „Beiruti“ gerät mit seinen machtvoll stampfenden Rhythmen und seelenerschütternden Vokallinien zu einem Tanz auf dem Vulkan, ein eindrückliches Porträt einer wechselvollen und teils bitteren Stadtgeschichte. Ein bilinguales Experiment zwischen Arabisch und Deutsch stellt „Revolution“ dar, ein Gang ins Ungewisse, fast eher Hörspiel und Collage als reine Musik. Doch das Finale gehört wieder der klaren Erdung: Im „Dabke“ feiern Masaa den Orient in mitreißender Virtuosität des gesamten Quartetts.
Mit ihrem zweiten Wurf zelebrieren Masaa die Selbstverständlichkeit von Interkultur mitten in Europa – und beschwören sie mit der beseelenden, ergreifenden Schöpferkraft von Poesie und Improvisation.
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Masaa – Afkar (english)
30 years ago it was a Lebanese, who was the first to set standards for the fusion of Arabic tradition and western jazz. One generation after the success of the oud-master Rabih Abou-Khalil, the conditions for teamwork between orient and occident have changed. The bridging of cultures is no longer exotic. Now it has a completely natural exchange. The creative flow unearths an immense palette of musical perspectives, creates completely new homelands in and for music. The bold vanguard in the new qualities of this encounter is the quartet Masaa – and with the poet, composer and singer Rabih Lahoud the focus is once again on a man with his roots in Lebanon.
Quite often in music history the most soaring flights of creativity arise from a coincidental encounter, which was also the case for the German-Arabic constellation of Masaa: in 2010 the trumpeter Marcus Rust plays a big band concert in Schwerin and there he meets Rabih Lahoud, whose name is already known to him through his teacher Markus Stockhausen, who had told him of his new project Eternal Voyage with the native-born Lebanese. Rust is so thrilled by Lahoud’s vocal art that he introduces him to his colleagues Clemens Pötzsch (p) and Demian Kappenstein (perc).
However, artistic work in his mother tongue is still quite new for Lahoud: After having a preference for music of the west for many years and studying classical piano, it wasn’t until he came to distant Germany, that he curiously and cautiously approached his roots. He finds a place of comfort and beauty in the Arabic sound, which frees him from his rules, which grants every word its own power. It is beneficial for the chemistry of this new band that the other three are also seekers. Inspired by a stay in India, Rust is impressed by the direct emotionality of traditional music and brings it together with jazz and improvisation. Pötzsch works with the same conjunction, when he integrates sounds of the east sprouting from his Sorbian heritage into his melodic playing. And also Kappenstein is a traveler, captures his percussion experiences between Taiwan and Turkey, Israel and Germany.
The band fondly calls it “improetry” what happens at the studio when the creative act gains momentum: Sometimes Lahoud improvises his lyrics on the compositions of his colleagues. Vice versa the poetic pictures painted by the verses or merely the sound of the foreign language stimulate the improvisation of the instrumental parts. Out of this “snowball” sampling the highly praised first album “Freedom Dance” accrues. The four musicians have already been awarded the Bremer Jazzpreis [Jazzaward Bremen] for their unorthodox style of orient jazz and have bedazzled audiences on European, Lebanese and even African stages. “Masaa dances the freedom dance as self confidently and unleashed as possible in these times of distrust and hostility between ideologies with great differences,” the magazine Jazzpodium jubilates.
On their new album “Afkar” Masaa fathoms even greater liberties: Their tonal vocabulary has further emancipated itself from jazz and assumes more sensuality and passion. The mergence of dance-like and unbound, of tradition and experiment, has reached a new organic level. Lahoud’s voice appears even more voluminous and expressive, the flow of the improvisatory ideas and thoughts – which is what the Arabic word “afkar” means – in the interplay of the four musicians, leads to thus far unknown shores.
The song cycle begins with heartfelt vocals and inquiring piano interjections, but eventually the opening piece “Aruz” transforms into a hymn-like, almost folkloristic dance with nimbly galloping drums and the mellow sound of the trumpet encompassing the voice. It is these unexpected, surprising transformations that bring the whole album to life: The title song, with its verses filled with thoughtful doubt, vaults itself aloft from lyrical rap to an outcry of the heart and then to inspired, free improvisation of the collective. From a vocal solo that gets under your skin in the song “Hiwar”, an exuberant finale with reminiscences of Balkan odd-meters emerges.
Meditative moments with a sonorous voice and a pensive trumpet capture the listener in “Mira” and “Baladi”, delicate natural poetry with raindrops from the piano pervade the gracefully arranged “Hlam”. Equally impressionistic is the short, haiku-like image of nature in “Reflexion”, where Lahoud ventures into the French language for the first time. In the hypnotically revolving “Layali” a hint of cool jazz with a muted trumpet resides in the dark grooves of the keys.
And there are also the unwieldy, challenging passages: “Beiruti” turns into a dance with the devil, with its powerfully pounding rhythms and soul-shocking vocal lines; an impressive portrait of a changeful and partly bitter town history. “Revolution” represents a bilingual experiment between Arabic and German, a walk into the uncertain and creates more of a radio play and a collage than pure music. But the finale is clearly grounding: In “Dabke”, Masaa celebrates the orient in the captivating virtuosity of the whole quartet.
With their second release Masaa celebrates the implicitness of inter-culture in the midst of Europe – and summons it with the inspiring, deeply stirring creativity of poetry and improvisation.