Release August 26, 2016
EAN/UPC: 705304463529
Traumton CD: 4635
Lineup
Peter Meyer: guitar Bernhard Meyer: bass Moritz Baumgärtner: drums
1, 4, 7, 9 & 10 by Bernhard Meyer, 2, 3, 5, 6 & 8 by Peter Meyer 11 by Ludwig van Beethoven, excerpt from String Quartet No.15, 3rd Movement
All songs coloured and arranged by Melt Trio
Published by Traumton Musikverlag
Recorded by Victor Meding at Vicsound Studio Stockholm September 2015
Mixed & mastered by Martin Ruch at „Control Room Berlin“ February/ March 2016
Info / Info english
Melt Trio – Stroy
Atmosphärisch und gleichzeitig spannend wirkt das dritte Album des Melt Trios. Bernhard und Peter Meyer und Moritz Baumgärtner haben ihren speziellen Stil weiter ausgefeilt und zeigen in Details noch stärkeren Gestaltungswillen. Ihre Verbindung von akustischen und elektronischen Sounds wirkt subtiler denn je, konkrete Einflüsse von Jazz und Klassischer Moderne bis Post- und Prog-Rock sind allenfalls schemenhaft auszumachen, weil die Musik einfach nach Melt Trio klingt. Schon immer gehörte es zu den Markenzeichen der Band, komponierte und improvisierte Passagen so zu verschmelzen, dass sie kaum mehr zu unterscheiden sind. Konventionelle Strukturen, etwa die Abfolge von Leitmotiv und solistischen Abstraktionen, sind bei Melt längst aufgelöst. Und wer Griffbretthexerei um ihrer selbst willen sucht, darf gern woanders fündig werden.
Durch viele gemeinsame Konzerte in den letzten Jahren sind Meyer, Meyer und Baumgärtner zu einer Einheit, geradezu einem musikalischen Organismus verwachsen. Zielsicher und pointiert wählen sie aus ihrer großen Palette an Ausdrucksmöglichkeiten zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Klangfarben. Kooperationen mit Jan Bang, Tony Malaby, John Hollenbeck, Jim Black oder Theo Bleckmann haben die drei Persönlichkeiten zusätzlich reifen lassen. Das alles ist auf Stroy zu hören. „Beim Schreiben der Stücke für das Album hatte ich schon kommende Konzerte im Kopf“, erklärt Bernhard Meyer, „besonders die Energie, Spontaneität und Offenheit, die auf der Bühne entsteht.“ Ruhigere Momente leben von Nuancen und feinen Verästelungen, die sich mal kontinuierlich verdichten und zuspitzen, mal von unvermittelt aufleuchtenden Expressionen durchsetzt sind. Die Dynamik ist groß, kommt aber selten überfallartig, schwillt vielmehr langsam an und wieder ab. Die einzelnen Stücke und das gesamte Album erinnern an einen mäandernden Fluss, mal kontemplativ, mal von Stromschnellen durchsetzt. Dabei scheint sich die Band im Lauf der Platte stromaufwärts Richtung Quelle zu bewegen.
Statt nach spektakulärer Rasanz zu streben, kreiert das Melt Trio mal versponnene, mal beinahe ekstatische Stimmungen. Spannungsbögen entstehen, indem sich die Musik innerhalb einer Komposition stets vorwärts bewegt, statt sich wie sonst oft üblich in Kreisen zu drehen. Improvisationen und Soli sind keine nacheinander abgefeuerten Einzelaktionen. Vielmehr kommen und gehen sie fast unbemerkt, erwachsen unvermittelt aus Klang und Kontext, dienen als substantielle Brücken, um die musikalische Geschichte weiter zu erzählen. Mit dem Ziel vor Augen, woanders anzukommen und nicht wieder am Ausgangspunkt zu landen. Die Poesie, die dieser Musik inne wohnt, findet im Titel des Albums ihre Entsprechung. Schon der vorherigen Platte gab die Band einen suggestiven Namen: Hymnolia. Nun erinnert das spielerische Kunstwort Stroy nicht zufällig an „Story“. Darüber hinaus – und wichtiger noch – assoziiert es für Melt das Gegenteil von „destroy“. Sounds und Atmosphären aufzubauen, statt Strukturen brachial einzureißen, ist ihre Motivation.
Das ausgeprägte Klangbewusstsein der drei Musiker hat Geschichte. In den vergangenen Jahren haben sie, zumal in anderen Konstellationen, ihre persönlichen musikalischen Handschriften immer feiner ausgearbeitet. Bernhard Meyer zupft als einer der wenigen seines Fachs einen Halbresonanz-Bass, spielt darauf zuweilen eine Doppelrolle als grundierender Bassist und Rhythmusgitarrist und bereitet den Boden für weitläufige Improvisationen. Sein Gravitationsfeld hält das Geschehen jederzeit zusammen. Peter Meyer transferiert zuweilen die Ästhetik akustischer Pickings auf die E-Gitarre, kreiert individuelle harmonische Wendungen, changiert zwischen kluger Komplexität und emotionaler Tiefe. Beide Meyers wissen pointiert mit Effektgeräten und Loopern umzugehen, vereinen elegant das warme Timbre von Holz und gezielt eingesetzte Digitaltechnik. Moritz Baumgärtner hat als Drummer einen singulären, unmittelbar identifizierbaren Ausdruck entwickelt. Sein Spiel zeichnet sich durch klangliche Qualität, ungewöhnliche Materialeinsätze (diverses Blech, Metall, Megaphon u.v.m.) und Energieschübe aus, die mit der verschwenderischen Kraft einer Vulkaneruption losbrechen können. Von je her pendelt Baumgärtner zwischen den Stilen, wirkt als souveränes Rückgrat unter anderem bei Lisbeth Quartett, Johanna Borchert und der Elektro-Punkband Frittenbude, von 2010 bis 2014 auch beim verrückten Rockzirkus Bonaparte. „Früher wurden wir vor allem von Dingen inspiriert, die wir gehört haben“, fasst Baumgärtner die Entwicklung aus seiner Sicht zusammen, „heute schöpfen wir aus unseren eigenen Erfahrungen. Uns ist noch klarer, in welchem Moment wir bestimmte Gesten und Sounds einsetzen. Man schält immer mehr ab und sieht den Kern.“
Die Meyer-Brüder spielen seit ihren Teenagerjahren zusammen, lange als Gitarrentrio mit wechselndem Schlagzeuger, „weil es in unserem Dorf einfach keine Saxophonisten oder Pianisten gab, mit denen wir hätten arbeiten können.“ Das ist jetzt eineinhalb Dekaden her. 2010, kurz nach ihrem Studium am Jazz Institut Berlin (bei John Hollenbeck respektive Kurt Rosenwinkel), begann der gemeinsame Weg der Meyers mit Baumgärtner (der ebenfalls bei Hollenbeck studierte). „Damals hat Moritz ganz anders gespielt als ich“, erinnert sich Peter Meyer, „er war viel in der freien Szene aktiv und dadurch vor allem hochenergetisch, während ich zu diesem Zeitpunkt eher von vollen, warmen Sounds begeistert war.“ Auch gegeneinander geschlagene Steine erzeugen Funken, die ein Feuer entfachen können. Heute reibt das Trio dafür weicheres und etwas härteres Holz aneinander. Die markanten, genreübergreifenden Kompositionen der Meyers sind zwar ausgefeilt, lassen aber absichtsvoll Raum für zusätzliche Ideen, die im Zusammenspiel entwickelt werden. Viele Texturen entstehen intuitiv, müssen weder besprochen, noch aufgeschrieben werden. Und Drummer Baumgärtner steuert, obwohl er selbst als einziger der drei keine Stücke schreibt, enorm viele Ideen bei. Oft beflügelt er sich und die Meyers zu noch mutigeren Ausflügen. „Wir haben unsere Zutaten klarer sortiert und können daher beim Spielen mehr Risiken eingehen“, beschreibt Baumga?rtner die Balance zwischen ausgeklügelten und freien Passagen, „die neuen Aufnahmen sind zwar subtiler, haben aber trotzdem viel mehr Drive.“
Den Schlusspunkt auf Stroy setzt das einzige Stück mit deutschsprachigen Namen, nämlich Heiliger Dankgesang. Es basiert auf einem Streichquartett von Beethoven (op. 15, 3. Satz), die Idee dazu stammt von Peter Meyer. Dessen vergleichsweise üppig schwellenden Gitarrensounds, einige gestrichene Becken und Glocken suggerieren indes weit weniger klassische Einflüsse als vielmehr eine gewisse Verbindung zu den Epen der isländischen Pink Floyd-Nachfahren Sigur Ròs.
Es ist sicher nicht vermessen zu behaupten, dass derzeit keine deutsche Band so klingt wie das Melt Trio. Die Souveränität, mit der Meyer, Meyer und Baumgärtner zwischen klaren Konturen und sich öffnenden Formen, wunderbarem Melodie- und Klangreichtum, interessanten Harmonien und rhythmischen Finessen changieren, setzt einen Wegweiser in die europäische Musiklandschaft.
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Melt Trio – Stroy (english)
The third album of the Melt Trio appears atmospheric and exciting at once. Bernhard and Peter Meyer and Moritz Baumgärtner have further polished their unique style and exhibit an even stronger creative drive. Their combination of acoustic and electronic sounds seems subtler than ever; specific influences of jazz and modern classical music, as well as post- and prog-rock are only hinted at most, because the music just sounds like Melt Trio. It has always been one of the band’s trademarks, to merge composed and improvised passages in a way that they can hardly be differentiated. Conventional structures like the succession of the main theme and solo abstractions have long been dissolved. And whoever is looking for fret board magic for its own sake has to look elsewhere.
Through the many concerts together over the last years, Meyer, Meyer and Baumgärtner have grown together to a unit, almost to a musical organism. From their great palette of ways of expression they unerringly and pointedly chose the right tone colors at the right time. Collaborations with Jan Bang, Tony Malaby, John Hollenbeck, Jim Black or Theo Bleckmann have further matured the three personalities. All this can be heard on Stroy. “When I was writing the pieces for the album I already had the upcoming concerts in mind,” Bernhard Meyer explains, “especially the energy, spontaneity and openness that develop on stage.” Quieter moments live from the nuances and the finely intertwined parts that continuously intensify and grow more acute or at other times are interspersed with abrupt expressions flashing up. The dynamics are wide, but seldom happen suddenly; instead they slowly swell up and down again. The individual pieces and the complete album are reminiscent of a meandering river, at times contemplative, at other times whirled by rapids. And during the course of the record the band seems to be moving upstream towards the river’s source.
Instead of striving for spectacular excitement, the Melt Trio creates meditative as well as nearly ecstatic moods. Arcs of suspense develop because the music is always moving forward within the composition, as opposed to the very common turning in circles. Improvisations and solos are not successively fired individual actions. They much rather come and go almost unperceived, grow suddenly from sound and context, serve as substantial bridges that continue telling the musical story. With the goal in mind of arriving somewhere else and not landing at the starting point again. The poetry that is inherent in this music finds its analogy in the album’s title. The band already gave their previous record a suggestive name: Hymnolia. The playful art-word Stroy isn’t coincidentally evocative of “story”. Moreover – and more importantly – to Melt it associatively means the opposite of “destroy”. It is their motivation to build sounds and atmospheres instead of brutally demolishing structures.
The three musicians’ pronounced awareness for sound has a history. In the past years they have developed their musical signatures more and more finely, particularly in other constellations. As one of the few in his trade, Bernhard Meyer plucks a semi-acoustic bass, on which he sometimes plays a double-role as the grounding bassist and rhythm guitarist and lays down the base for ample improvisations. His gravitational field holds together the events at all times. Peter Meyer sometimes transfers the aesthetic of acoustic pickings to the electric guitar, creates individual harmonic changes, switches between smart complexity and emotional depth. Both Meyers pointedly know how to handle effects and loop stations and elegantly unite the warm timbre of wood with purposefully applied digital technology. As a drummer Moritz Baumgärtner has developed a unique and immediately identifiable expression. His playing is characterized by tonal quality, use of unusual materials (various tins, metal, a megaphone, ect.) and boosts of energy that can break out with the lavish power of a volcanic eruption. Baumgärtner has always been swinging back and forth between styles: he acts as the masterful backbone for the Lisbeth Quartett, Johanna Borchert , the electro-punk-band Frittenbude and from 2010 to 2014 also for the crazy rock-circus Bonaparte, just to name a few. “Earlier we were mainly inspired by the things we listened to”, Baumgärtner summarizes the development form his point of view, “and today we draw inspiration from our own experiences. It is even clearer to us, in which moment we use certain gestures and sounds. We peel off more and more and can see the core.”
The Meyer-brothers have been playing together since their teens, for a long time as a guitar trio with changing drummers, “because there simply weren’t any saxophone or piano players in our village whom we could have worked with.” That is one and a half decades ago now. In 2010, right after studying at the Jazz Institute Berlin (with John Hollenbeck and Kurt Rosenwinkel respectively) the Meyers joined with Baumgärtner (who also studied with Hollenbeck). “Back then Moritz played completely differently than me,” Peter Meyer remembers, “he was very active in the free scene and therefore above all highly energetic, whereas I was more into full, warm sounds at the time.” Also rocks hitting together create sparks that can ignite a fire. Today the trio rubs together softer and somewhat harder wood instead. The Meyers’ distinctive, trans-genre compositions are indeed elaborate, but deliberately leave room for additional ideas, which develop while playing together. Many textures emerge intuitively and don’t have to be spoken about nor written down. And although drummer Baumgärtner is the only one of the three who doesn’t write any pieces, he contributes a tremendous amount of ideas. Often he quickens himself and the Meyers to even more courageous journeys. “We have sorted our ingredients more clearly and can therefore take greater risks while playing,” Baumgärtner describes the balance between the cleverly devised and the free passages, “the new recordings are more subtle on the one hand, but still have much more drive.”
Stroy is concluded by the only piece with a German name, which is Heiliger Dankgesang [Holy Song of Thanksgiving]. It is based on a piece for string quartet by Beethoven (op. 15, 3. Satz), the idea coming from Peter Meyer. However, his comparatively opulently swelling guitar sounds and a few squeaking cymbals and bells much rather suggest a certain connection to the epics of the Icelandic Pink Floyd-descendent Sigur Ròs. It is certainly not presumptuous to claim, that no other current German Band sounds like the Melt Trio. The ease with which Meyer, Meyer and Baumgärtner change between clear contours and openly widening forms, wonderfully rich melody and sound, interesting harmonies and rhythmic finesse, is pathbreaking in the European music landscape.