Release March 17, 2006
EAN/UPC: 705304658925
Traumton CD: 4487
Lineup
Betancor: vocals, piano, trumpet Dirk Berger: guitars Beat Halberschmidt: Bass Kalle Mews: percussion
All titles by Susanne Betancor are published by Traumton Musikverlag, except „Hau“, published by Roof-Music
Recorded & mixed by Markus Mittermeyer at Traumton Studios, Berlin
Mastered by Wolfgang Loos at Traumton Studios, Berlin
Labelchief & production: Stefanie Marcus
Info / Info english
Betancor Band – Hispanoid
Kleinkunst und Kammerpop – oder eher großartige Popkunst mit dem Flair der weiten Welt? Bei der Attributsuche nach Betancors Musik hat sich schon mancher die Zähne ausgebissen. Die Multiinstrumentalistin, Dichterin und Sängerin hat sich selbst der Schubladisierung clever zu entziehen versucht, nannte sich eigenwillig „die Popette“ – denn „Chansonette“ und „Kabarett“ waren ihr zu nett. Mit dem neuen Programm „Hispanoid“ stehen die Geschmackswächter der Kleinkunst endgültig auf verlorenem (Grenz-)Posten. „Die Popette“ besinnt sich auf ihre Wurzeln, von denen 50 Prozent spanischer Provenienz sind, tut sich mit der geheimnisvoll klingenden Begleitcombo Lychee Lassi zusammen, zwingt Piazzolla und Gardel genau wie Die Sterne und Bowie zu unglaublichen Metamorphosen. Aufklärungsbedarf geweckt? Dann bitte weiterlesen.
Als vor einer Dekade ihr Debütalbum und erstes Soloprogramm die Welt ergötzten, hatte Betancor schon eine turbulente Biographie aufzuweisen: Aufgewachsen ist sie im Brennpunkt des Kohlenpotts, im kosmopolitischen Mikrokosmos Essen. Mit dem Piano seit Kindheit an vertraut spielt sie Keyboards, Klarinette, Saxophon und Trompete, musiziert mit Stoppok und in Helge Schneiders Combo Muttertag Five, ist bei der Geburt von Herbert Knebels Affentheater dabei. Ernst mit der Solokarriere wird es nach der selbstverordneten Entziehungskur vom Ruhrgebiet, sprich: dem Umzug nach Berlin 1989. Denn vom halbherzig betriebenen Literatur- und Musikpädagogikstudium landet sie jetzt mit auf dem „College Of Hearts“: Die Off-Theater-Truppe beherbergt sie 5 Jahre lang als Komponistin, Texterin und Schauspielerin, parallel dazu schmiedet sie ihre eigenen Songs im Homestudio.
“ Privat ist modern“ heißt denn auch ihr Debüt, das mit lyrischen Kleinoden, ironischem Feinsinn und origineller Poesie in Kooperation mit Stoppok und Georgette Dee das Licht der Welt erblickt. Ein Prix Panthéon krönt ihre Arbeit 1997, sie moderiert Comedy im Fernsehen und erhält schließlich auch den Deutschen Kleinkunstpreis. „Diva gut“ im Teamwork mit Georgette Dee, Cora Frost und Mouron sowie der legendäre „Damenbart“, der sich auch in Buchform manifestiert, folgen stante pede. Joseph Hader kollaboriert mit ihr, schließlich auch die unvergleichliche Elektro-Jazz-Combo Lychie Lassi (denen werden wir später wieder begegnen!) Das Musical „Ruhrrevue“ führt sie mit den Missfits und Herbert Knebel auf die Bühnen ihres Heimatreviers. Von Hamburg aus wird das nächste Programm, tituliert „Sitzclub“, auf die Öffentlichkeit losgelassen. Und so mancher Kulturkritiker wird sich während all der Jahre gedacht haben: Wird die Dame der Kleinkunst wirklich gerecht – oder vielmehr: Wird man ihr mit der Kleinkunst gerecht?
Der Schwenk der Popette samt Betancorband zu „Hispanoid“ beseitigt die Zweifel und wir können ein überzeugtes „Nein“ von uns geben. Ein unter- / hintergründiger Trip durch Schallwellen vom Mediterranen bis zu Madonna, von Betancor bis Bowie. Iberisches Feuer züngelt nun immer wieder in die deutsche Dichtkunst hinein – und das wirkt deshalb nicht aufgesetzt, da Betancor rein genealogisch dazu legitimiert ist: Schließlich führt sich ihre Familie väterlicherseits bis auf die hugenottischen Konquistadoren der Kanaren zurück! Ob in Psychogrammen von schrulligen Randfiguren, beim Nachzeichnen des Alltag-Mainstreams der Normalos und Normalas, in der Umdeutung von Poplyrik, die sich verdutzt in einer Paralleldimension wiederfindet oder gar in komplett auf Spanisch verfassten Zeilen – das Popettsche Dichterpotential kann (sich) auf alles einen Reim machen. Musikalisch wechseln sich ruppige Latin-Rock-Anflüge mit chansoneskem Pathos ab, Erdig-Bluesiges mit experimentellem Gitarren-Variété. Und auch der Tango tangiert nicht nur peripher: Gardels „Volver“ wird mit gnadenlosem Surfsound introduziert, der „Libertango“ mit einem teutonischen Recital konterkariert. Zu so etwas wie einem Zwitter aus „Hang On, Sloopy“ und Marc Ribots Cubanos Postizos mutiert der Alsterpop von Die Sterne. Und während Madonna in ihrem aktuellen Video zu einem Abba-Sample Gymnastik betreibt , kleidet Frau Betancor ihr „Material Girl“ ungleich aufregender in einen hispano-germanischen Cha Cha-Rock. Musikalische Wegbegleiter sind diesmal zwei Señores von der Formation Lychee Lassi: Ein Glücksfall, den die Popette so kommentiert: „Lychee Lassi ist eine Band, die ich nicht nur lange gesucht habe, sondern von der ich dachte, dass es sie in der Form gar nicht gibt. Es gibt sie aber. Und zwar genau in der Form. Und das ist das Gute daran.“ Dirk Bergers Gitarre fungiert dabei als schreiender, röhrender, sich aufbäumender Counterpart zur katzenartigen Stimme der Popette, Beat Halberschmidt bedient kongenial grundierend den Bass. Und an den Drums , die aktuelle Betancorband komplettierend, sitzt ein Weggefährte aus alten Ruhr-Tagen, Kalle Mews. Und wer jetzt noch ein Prädikat für diese wunderprächtigen Stilverstöße und sprachspielerischen Grenzübertritte braucht: „Elektro Holz Pop’n Roll“ hat sie sich als Untertitel von et Janze überlegt. Aber den hat man nach 60 Minuten Achterbahnfahrt durch Wort und Ton eh schon längst ad acta gelegt.
Anspieltipps:
– „Marimacho“ (1): Im originalkomponierten Opener bricht das ganze spanische Erbe aus der Popette heraus. Santana meets Scofield, dazu eine aufmüpfige Ode an ein Kerlsmädchen. Würde sich möglicherweise auch gut in einem Soundtrack zu einem Robert Rodriguez-Streifen („Desperado“) machen.
– „Hausverbot“ (7): in dieser dramaturgischen Meisterleistung vereinigen sich während eines Abendspaziergangs marxistische Reflexionen, Dylans „Blowin‘ In The Wind“ und der Hass auf Türsteher.
– „Kämpfer“ (8): Die singende Slidegitarre à la Canned Heat bietet eine aufgekratzte Unterlage für einen Hybrid der Extraklasse. Neil Youngs Goldherz im Shakehand mit Bowies „Rebel“.
– „LTU-Palma-Shuttle-Express“ (13) : Ein respektloses Dramolett oder „Was sich so alles im Kopf einer ICE-Reisenden abspielt“ – in Echtzeit und damit fast eine Liebeserklärung an Joyce.
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Betancor Band – Hispanoid (english)
Miss Betancor doesn’t want to commit herself – and doesn’t want to be commited by others. Not lastly because of that she invented her alterego some years ago: the Popette who allegorically fuses the Pop musician and the Chansonette. The artistic diversity of the Berlin resident by choice, made it almost nescessary in the past to stroll between those and other genres and to make use of them. That’s how the Popette became that highly entertaining , incomparable One-Woman-Show.
Now she appears, together with guitarrist Dirk Berger, bassist Beat Halberschmidt (both members of the Berlin Cult-Avantgarde Band „Lychee Lassi“) and drummer/percusionist Kalle Mews for the first time as the BETANCORBAND.
Of course she composed (and wrote the lyrics) of most of the songs herself and, of course, the multiinstrumentalist doesn’t only sing, she plays piano , blows the trumpet and the alto horn.
With the Hispano-Jazz-Pop album „Hispanoid“ Betancor renders homage to her roots in multiple aspects. They obviously lie in Jazz – and in Tango, Bolero, in melancholy. „Sad but funny“ she says. The Half- Spaniard who was raised in the Mid-West of Germany, got most of them so to say innately. Her canarian inheritance (fromher father’s family) is already of monumental presence in the hispano-groovy opener „Marimacho“ (in english virago), when Betancor smoothly switches between german and english singing, either way powerful-voiced, but sounding surpringsly different in spanish.Rendering homage to tango, Carlos Gardel’s „Soledad“ and „volver“ achieve new eminence in surf style. Astor Piazzola’s classic „Libertango“ is allured in a musically grotesque way before la Betancor kicks off her eerie-beautiful version of the freedom-ode.
Musically, gruff Latin-Rock-Touch alternates with chansonesque pathos, blues influences with experimental Guitar-vaudeville shows.The Alsterpop from „Die Sterne“ mutates to something like a hybrid of „Hang on Sloopy“ and Marc Ribots „Cubanos Postizos“. And while Madonne is doing gymnastics to an AbbA-sample in her current video, Mrs Betancor presents her „Material Girl“ unlike more excitinig in a hispano-german ChaCha-Rock.