Release February 15, 2005
EAN/UPC: 705304565629
Traumton CD: 4480
Lineup
Kristiina Tuomi: voice Carsten Daerr: piano Carlos Bica: doublebass
Info / Info english
Tuomi – Tight-Rope-Walker
Immens ist der Boom, den skandinavische Sängerinnen in den letzten Jahren ausgelöst haben. Rebekka Bakken, Kari Bremnes, Rigmor Gustafsson oder Cæcilie Norby – Namen wie diese locken das deutsche Jazzpublikum derzeit in die Säle und Plattenläden, formen eifrig eine Neudefinition des zeitgenössischen Euro-Jazz’, der sich von den US-Schulen mühelos abgenabelt hat. Auffällig hierbei: Eine Finnin fehlte bislang in der ersten Riege der noblen Nordstimmen. Mit Kristiina Tuomi stellt sich nun eine aufregende und eigensinnige Vokalistin vor, die Finnland auf der Landkarte des modernen Jazz-Songwritings platziert – und dies mit transeuropäischer Unterstützung sowie Poesie von Poe bis Shakespeare.
Eine “Tight-Rope-Walker” verheißt der Titel von Tuomis Debüt, und seiltänzerischen Charakter hat schon die künstlerische Biographie der 27jährigen: Als Autodidaktin entdeckt die Tochter einer finnischen Mutter und eines deutschen Vaters relativ spät die Musik, studiert an der Universität der Freien Künste in Berlin. Vom Opern- übers Jazz-Fach bis hin zu Pop und Dancefloor-Produktionen entfaltet die Nachwuchsstimme zügig ihre Aktivitäten. Mit Stefan Goldmann tummelt sie sich in Deephouse- und Elektro-Gefilden, zum Liebling der BBC-Playlisten avanciert sie mit dem Berliner Electronica-Act Paloma. Ihre skandinavische Indiepop-Band namens Seazoo hat sie mit ihrem umtriebigen Landsmann Kalle Kalima aufgezogen, seines Zeichens schon Gitarrist für Jimi Tenor oder Tomasz Stanko. Und genau wie ihre klare, ausdrucksintensive, aber zugleich einfühlsame Stimme über den lauteren Beats eindrucksvoll wirken kann, ist sie auch ganz natürlich im akustischen Ambiente zuhause: Das Trio „So Weiss“ mit der Braunschweiger Saxophonistin Susanne Funk und dem Kontrabassisten Roland Fidezius aus Berlin zeugt mit seinen herausragenden deutsch-englischen Lyrikvertonungen davon – und nun auch ihr neues Dreiergespann, mit dem sie einen CD-Erstling unter eigenem Namen eingespielt hat.
Es ist eine transeuropäische Diagonale der besonderen Klasse, die sich da auf “Tight-Rope-Walker” zusammen geschlossen hat: Finnland – Deutschland – Portugal heißt die tönende Achse dieser Session, die in den Hamburger Vagnsson Studios stattgefunden hat.
Als Meister über die Tasten zeichnet Berlins Neuentdeckung, Carsten Daerr verantwortlich. Nach klassischer Musikerziehung ging er einen eigenwilligen Weg, ließ sich von Postbop-Meister Kenny Kirkland, von einem Hancock oder Metheny genauso beeinflussen, wie er von Schubert und Olivier Messiaen bis hin zu Morton Feldman ein weites Inspirationsterrain aus der Klassik mitnahm. Nach eigenem Bekunden fließen in seine Klänge selbst Natur- und Stadtgeräusche ein. Während des Jazzpiano- und Kompositionsstudiums an der UdK Berlin (u.a. bei Hubert Nuss und Maria Schneider) begannen seine kreativen Teamworks, und bis heute kann er Kollaborationen mit etlichen Großen der Zunft aufweisen, unter ihnen Bobby McFerrin oder Marc Wyand. Daerr ist neben seiner Arbeit im Jazz auch als Komponist in der Neuen Musik aktiv. „Berliner Eigensinn statt US-fixiertes Traditionsbewusstsein. Daerr schafft es, dass selbst abenteuerliche Wendungen rund klingen, zwanglos originell“, jubelte der Rolling Stone. Und die Zeitschrift keyboards bescheinigte Daerrs Spiel „enormen harmonischen und pianistischen Einfallsreichtum, der eine neue Verbindung von Europäischer Kunstmusik und Jazz herstellt.“ Von Daerrs flexibler Spannbreite zwischen abstrakter Akkordwucht und melodischer Begleitungsgabe lebt „Tight-Trope-Walker“ ganz wesentlich.
Für ein stets ungeheuer singendes, mal federndes, dann wieder bauchiges Fundament sorgt Carlos Bica. Der Portugiese, der in seiner Heimat 1998 zum Jazzmusiker des Jahres gekürt wurde, ist auf internationaler Ebene seit dem Debüt seines Trio Azul (mit dem Gitarristen Frank Möbius und dem Schlagzeuger Jim Black) aus dem Jahre 1996 bestens bekannt. Im „Azul“-Projekt verzahnt er Jazz, Rock und ethnische Anklänge mit dem Erbe seiner Heimat, hat aber auch durch die Kooperation mit der Sängerin Ana Brandão Meriten im Songwriting-Bereich erworben. Bica hat im In- und Ausland mit vielen Größen musiziert, von Portugals Vokal-Ikone Maria João und dem Fadista Carlos Do Carmo bis zu den Stars des Jazzparketts wie Ray Anderson, Aki Takase oder Kenny Wheeler.
Schließlich die Wandlungsfähigkeit von Kristiina Tuomis stimmlicher Strahlkraft: Den hauchend-balladesken Ton beherrscht sie genauso wie eine mädchenhafte, neckische Laune, und fulminant ist ihr Vermögen, sich von verhaltenen bis zu mächtigen expressiven Sequenzen zu steigern. In viele Charaktere schlüpft die Deutsch-Finnin während des abwechslungsreichen Repertoires. Das stammt zumeist aus der Werkstatt von Carsten Daerr, greift neben reinen Originalkompositionen aber auch auf Verse eines spannenden literarischen Spektrums zurück. Feierliche, getragene Töne in einer Shakespeare-Vertonung, eine Noise-Miniatur, die einen Suzanne Vega-Song paraphrasiert, Anklänge an Bartók, eingerahmt durch zwei Poe-Poeme, die mit ihrem versonnenen Charakter eine stimmungsvolle Klammer um das Opus bilden.
Ohne sich auch nur einen Moment aufs Kopieren ihrer skandinavischen Vokalschwestern einzulassen, trägt Kristiina Tuomi dem so beliebten nordisch angetupften Jazz unserer Tage originelle Facetten und vielgestaltige neue Impulse zu.
Anspieltipps:
– “Romance” (1): Die wunderbar fließende und sangliche Einstiegsballade lässt die 1829 geschriebene kryptische Naturlyrik des jungen Edgar Allen Poe zu neuen Ehren kommen.
– ”Tight-Rope-Walker” (3): Ein fulminanter Spannungsbogen wohnt dem Titelstück inne: In höchsten Lagen perlt das Klavier, der Bass umspielt es als Singstimme, bis Kristiina Tuomi über der dramatischen Basis mit ihrer Geschichte über die taumelnde Protagonistin einsteigt. Rasant schrauben sich Blockakkorde und Bass-Staccato empor, bevor das wirbelnde Geschehen sich mit letzten Pianokaskaden wieder beruhigt.
– “Carlos (Sweet)”(4): Tuomi spielt ihr gehauchtes, zärtliches Timbre in dieser tänzerisch-schlichten und leichtfüßigen Nummer aus der Feder Bicas aus, der hier auch mit einem lyrischen Solo aufwartet. Den Schluss belebt ein unerwartet geräuschhafter Einschub.
– “Rid My Pain” (7): Ein Meisterstreich klassischer Gedichtadaption: Shakespeares Sonnet 139, eines jener intensiven Liebesgedichte, das er seiner ominösen “Dark Lady” zugeeignet hat, schreitet hier in stolzer, melancholischer Würde einher.
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Tuomi – Tight-Rope-Walker (english)
Huge is the boom Scandinavian singers have triggered in the past few years. Rebekka Bakken, Kari Bremnes, Rigmor Gustafsson or Cæcilie Norby – Names like these are currently luring German jazz audiences into music halls and record stores, zealously forming a new definition of contemporary “Euro-Jazz” and effortlessly cutting its umbilical cord from the US schools. Until now the Finnish faction has been conspicuously missing on this new top team of noble Nordic voices. Kristiina Tuomi presents herself as an exciting and original vocalist who puts Finland on the map of modern jazz song-writing – and this with trans-European flair and poetry from Poe to Shakespeare.
A “Tight-Rope-Walker” is what the title of Tuomi´s debut album heralds, and the 27 year-old’s artistic biography already reads very much like a balancing act. As an autodidact, the daughter of a Finnish mother and German father discovered music relatively late, studying at the Free Arts University in Berlin. From opera to jazz all the way over to pop and dance-floor productions, this up-and-coming artist quickly developed her talents. With Stefan Goldmann, she romped in the realms of deep house and electro, and advanced to a favourite on BBC play lists with the Berlin electronic act „Paloma”. She started up her Scandinavian indie-pop band by the name of „Seazoo” with wandering fellow countryman Kalle Kalima, by trade already guitarist for Jimi Tenor or Tomasz Stanko. And just as her clear, expressive, but at the same time sensitive voice can be impressively effective over louder beats, she is equally at home in an acoustic ambient: The trio „So Weiss“ with Braunschweiger saxophonist Susanne Folk and double-bass player Roland Fidezius from Berlin, with its outstanding German-English spoken-word put to music, is evidence of this – and now her new three-piece band as well, with which she recorded her first CD under her own name.
A trans-European diagonal of a very special class joins hands on “Tight-Rope-Walker”: Finland – Germany – Portugal is the “axis of sound” for this session, which took place in Hamburg´s Vagnsson Studios.
As master of the keys, Berlin’s new discovery Carsten Daerr takes charge. After a classical musical education he embarked on an independent path, allowing himself to be influenced by post-bop master Kenny Kirkland, by Hancock or Metheny and at the same time taking a wide terrain of inspiration from the classics – from Schubert and Olivier Messiahs all the way to Morton Feldman. He says that he even mixes nature and city noises into his sounds. His creative team-working began during his jazz piano and composition studies at the University of Arts (among others under Hubert Nuss and Maria Schneider), and today he can boast collaborations with countless greats of the guild, among them Bobby McFerrin or Marc Wyand. Beside his work in jazz, Daerr is also active as a composer for New Music. „Berliner” originality instead of US-fixed tradition-consciousness. Daerr manages to make even the most adventurous changes sound round, „casually original“ raves the Rolling Stone. And the magazine Keyboards certifies Daerr’s playing to have „enormously harmonic and pianistic imagination which creates a new bridge between European art, music and jazz.” „Tight-Rope-Walker“ lives quite significantly from Daerr’s flexible range between abstract chord power and his gift of melodic accompaniment.
The tremendously ever- singing, sometimes springing, and then again earthy fundament is provided by Carlos Bica. The Portuguese, elected Jazz Musician of the Year 1998 in his homeland, has been very well-known in international circles since the debut of his trio Azul (with guitarist Frank Möbius and drummer Jim Black) in the year 1996. In his „Azul“ project he meshed jazz, rock and ethnic sounds with the heritage of his home, but also acquired merits in song-writing through his cooperation with singer Ana Brandão. Bica has played with many of the greats at home and abroad, from Portugal’s vocal icon Maria João and Fado singer Carlos Do Carmo, to stars of jazz like Ray Anderson, Aki Takase or Kenny Wheeler.
Finally the versatility of Kristiina Tuomi’s vocal power: She masters breathy ballad-like tones just as much as a girlish-coquettish mood, and brilliant is her ability to intensify from restrained to powerfully expressive passages. The German-Finn slips into many characters during her highly diversified repertoire. This usually comes from Carsten Daerr’s studio, using purely original compositions as well as falling back on a suspenseful literary spectrum. Solemn, stately tones in Shakespeare put-to-music, a noise miniature that paraphrases a Suzanne Vega song, echoes of Bartók, flanked by two Poe poems that form a tremendous brace around the opus with their pensive character.
Without for even a minute allowing herself to copy her singing Scandinavian sisters, Kristiina Tuomi contributes original facets and multifariously new impulses to that ever-so-popular Nordic-coloured jazz of our day.
Listening Tipps:
* “Romance” (1): The fantastically flowing lead-in ballad pays new tribute to the young Edgar Allen Poe´s cryptic hymns to nature, written in 1829.
* ”Tight-Rope-Walker” (3): Brilliant suspense is inherent in this title song: The piano sparkles in the highest range with the bass playing around it like a voice, until Kristiina Tuomi comes in on this dramatic fundament with her story of the staggering protagonist. Block chords and bass-staccato spiral furiously upwards until the turbulencereturns to calm with the last cascades of the piano.
* “Carlos (Sweet)”(4): Tuomi plays out her breathy gentle timbre in this dancingly simple, light-footed number penned by Bica, who also serves up a lyrical solo here. An unexpectedly noisy interlude livens up the end.
* “ Rid My Pain” (7): A masterpiece of classical poetry adaptation: Shakespeares Sonnet 139, one of those intensive love poems dedicated to his ominous “Dark Lady” strides forth in proud melancholy dignity.