Release March 17, 2006
EAN/UPC: 705304654125
Traumton CD: 4488
Lineup
Kalle Kalima: guitar Chris Dahlgren: bass Eric Schaefer: drums
Info / Info english
Johnny La Marama – Johnny La Marama – … Fire!
Es war einmal oder vielleicht war es auch nicht. Womöglich passiert es auch gerade jetzt. Jedenfalls irgendwann und irgendwo, vielleicht in Berlin, New York oder Gotham City schleicht ein windiger Typ von schalem Teint und verblichener Eleganz um die Ecken. Niemand hat ihn wirklich je gekannt, doch er ist in aller Munde. Den Kragen ins Gesicht gezogen, eine Nelke im Revers, lebt er in seiner eigenen Welt, zieht er seine eigenen Spuren und Kreise. Johnny La Marama, ein Gangster aus Leidenschaft, ein Ganove mit der Tendenz, sich stets ins eigene Knie zu schießen. Ein Halbwelt-Leguan, der nach geglücktem Banküberfall den Schlüssel seines Fluchtautos nicht findet, im Jaulen der Polizeisirenen geschnappt wird und nur deshalb kurz darauf fliehen kann, weil er bei einer Evakuierung des Kittchens vergessen wird.
Dieser Johnny La Marama hat einen Sound, einen Groove, eine Melodie, so sinister und abenteuerlich wie sein ganzes Wesen. Johnny La Marama ist eine Band aus Berlin. Der finnische Gitarrist Kalle Kalima, der New Yorker Bassist Chris Dahlgren und der deutsche Schlagzeuger Eric Schaefer tragen aus drei Himmelsrichtungen Dutzende von musikalischen Vorlieben und Erfahrungen zusammen. Doch im Gegensatz zu zahlreichen anderen Projekten im weiten Umfeld der Berliner Jazz-Szene, ergeben die drei Musiker eine richtige Band. Eine Band, in der es viel Spontanes, aber wenig Zufälliges gibt. Auf ihrer neuen CD „…Fire!“ klingen sie trotz aller Offenheit doch so dicht und geschlossen, dass man schwer bis in jedes musikalische Detail zurück verfolgen kann, welche Intention, welcher Impuls und welches spielerische Element auf welchen Initiator zurückgeht. Ja, mehr noch, obwohl die einzelnen Stücke zu gleichen Teilen von den drei Mitgliedern stammen, klingen sie doch wie aus einer Feder. Johnny La Marama ist kein Trio im klassischen Sinne, sondern ein intuitives Ganzes. „Obwohl wir anfangs nur improvisierten“, erinnert sich Drummer Eric Schaefer an den Anfang vor vier Jahren, „funktionierte es sofort, weil wir eine ähnliche Art von Musik mögen und ein vergleichbares Niveau von Freiheit brauchen. Es fiel uns leicht, eine gemeinsame Sprache zu finden, um diesen kollektiven Sound, den wir aus drei unterschiedlichen Richtungen mitgebracht haben, auszubauen. Wir ziehen alle an einem Strang, der zwischen Post Rock, Groove, Neue Musik und Zappa aufgehängt ist.“
Trotz des Bekenntnisses zu Zappa ist die Übereinstimmung des Albumtitels mit dem eines autorisierten Zappa-Bootlegs reiner Zufall. Doch Zappas historische Frage „Does humor belong in music?“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Stücke der CD, deren Länge zwischen zehn Minuten und vier Sekunden variiert. Wenn es für Johnny La Marama überhaupt ein begriffliches Korsett gibt, dann vielleicht urbane Blues Grotesken. Urban wegen dem Noise und der offenen und unterschwelligen Hektik der Tracks, Blues wegen der Gitarre und dem nächtlichen Flair der Stücke, und ein Humor, der weniger zum Lachen zwingt als zum Schmunzeln auffordert. „Einige Stücke auf der Platte sind tatsächlich ganz schlichter Blues“, so Schaefer, „der nur komplizierter klingt, weil wir etwas dazu gebaut haben. Genau genommen ist es das alte Prinzip von Call and Response. Wir lassen einander immer genug Platz, um auf Gesagtes zu antworten. Es gibt keine traditionelle Rollenverteilung von Solisten und Begleitern, sondern wir öffnen durch den Groove gemeinsame Räume, in denen wir langsam eine Architektur entwickeln. Schon als wir zum ersten Mal miteinander spielten, kristallisierten sich sofort Songstrukturen heraus. Für uns selbst war es verblüffend, wie logisch sich unsere Stücke entwickelten. Da war immer ein bestimmter Groove, eine Art Sog zu etwas Saftigem zwischen HipHop, Drum’n’Bass und Rock. Auch wenn es innerhalb eines Stückes viele Brüche gibt, formulieren wir nicht irgendein lustiges Konzept, das wir irgendwie umsetzen wollen, sondern folgen der reinen Lust am Spiel. Wir haben Freude daran, Rock, Jazz und Neue Musik unter diesem Groove-Gestus zu kombinieren.“
Doch der faszinierend zwielichtige Charme von Johnny La Marama geht ja nicht allein von der Musik aus. So virtuos alle drei Groove- und Klangzauberer ihre Instrumente und musikalischen Idiome beherrschen, so meisterhaft jonglieren sie auch mit Attitüden und Platitüden. Zuweilen ist man an alte Comics im Stile von Will Eisners „Spirit“ erinnert, anderes ruft Film Noirs aus den Vierzigern, Surfsounds und abgestandene amerikanische Krimiserien aus den Sechzigern oder Schweinerock aus den Siebzigern wach. So hat Johnny La Marama eine sehr individuelle Art gefunden, mannigfache Anachronismen im Hier und Jetzt zu bündeln. „Wir finden uns auf jeden Fall in Comics wieder“, bestätigt Eric Schaefer, „in denen die Anzüge immer eine Nummer zu groß sind und die Schläger ein riesiges Kreuz haben. In denen alles ein wenig übertrieben ist, aber doch eine Halbwelt repräsentiert, die für eine gewisse Art von Abenteuer steht. Natürlich sind wir keine Kubaner und auch keine Hardrock-Band aus den Siebzigern. Doch wir genießen es, uns auf fremde musikalische Welten einzulassen. Jazz ist ja ohnehin immer ein wenig eklektizistisch. Man muss nur einen Weg finden, all diese fremde Versatzstücke zu seinen eigenen zu machen. Ob uns das glorreich oder überhaupt nicht gelingt, entscheidet der Hörer. Uns bereitet es jedenfalls riesiges Vergnügen, uns in die unterschiedlichsten musikalischen Situationen zu begeben und diese auszuschöpfen.“
Die drei Musiker von Johnny La Marama verbindet ihre zügellose Liebe zur Musik. Eric Schaefer wurde schon durch seinen Vater an Blues, Rock’n’Roll und Funk herangeführt. Kalle Kalima wuchs mit Jimi Hendrix, Pink Floyd und Led Zeppelin auf und genießt den Ruf eines der waghalsigsten Nonkonformisten auf der europäischen Gitarre. Chris Dahlgren, ein wenig älter als die beiden Europäer, bringt seine Erinnerung an Konzerte von Weather Report und seine intensive Zusammenarbeit mit Antony Braxton und der New Yorker Jazz-Avantgarde ein. Alle drei entwickeln sich auch außerhalb der Band weiter. Doch wenn Johnny La Marama ruft, haben sie keine Chance, als diesem Ruf zu folgen. „Wenn Johnny ruft, müssen wir uns erstmal treffen“, rekapituliert Schaefer. „Jeder Musiker hat etwas, das er mit den anderen unbedingt ausprobieren will. Wir treffen uns, jemand liest ein Buch über Frösche in Mexiko, deren Namen irgendwelchen Substanzen entsprechen, die man einnehmen kann. Dann gehen wir auf Tour und treffen jemand, der mit uns keine CDs tauscht, weil er nicht so viel Gepäck schleppen will. Daraus macht man ein Stück über einen Vater, der Johnny immer abgelehnt hat. So können wir diese Zurückweisung verarbeiten. Später fahren wir mit der Bimmelbahn durch die Alpen, wo man diverse Obstschnäpse konsumieren könnte (bei Bedarf). Die Namen dieser Obstschnäpse ergeben in einer numerischen Reihe einen neuen Songtext, der seine Musik fordert … Sowie wir als Band zusammen sind, wird permanent ein unendlicher Strom von Sachen angespült. Johnny funktioniert wie ein Magnet, der alles aus allen Ecken zusammenzieht.“
Johnny La Marama ist eine Band und – soviel beweist ihre neue CD – zugleich viel mehr. Johnny La Marama ist ein Abenteuer, eine Geschichte, ein bittersüßer Traum, eine unerfüllbare Sehnsucht, ein genussvolles Bekenntnis zur Maßlosigkeit, die ideale Schnittmenge aus Übertreibung und Understatement, eine stilvolle Geschmacklosigkeit, ein Schaumbad in der Fiktion, ein zeitloses Irgendwo im Nirgendwo und doch auch der Soundtrack zum ganz alltäglichen Einerlei von Aufbruch und Rückkehr.
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Johnny La Marama – … Fire! (english)
Once upon a time or not. Maybe it’s happening right now. In any case, somewhere, somehow- perhaps in Berlin, New York or Gotham City- a shady guy with a pale tint and faded elegance sneaks around the corner. Nobody ever really knew him but his name resoundes throughout the city. With his coat collar turned up and a cheap carnation on the revers, he orbits in a constellation of his own design. Johnny La Marama: a gangster out of passion with the tendency to shoot himself in the foot. A twilight-iguana who, after a successful bank robbery, can’t find his car keys and gets caught; only to latter escape prison by hiding inside the warden’s birthday cake. …
This Johnny La Marama has a sound, a groove, a melody as sinister and adventurous as his nature. Johnny La Marama is a band from Berlin. The Finnish guitarrist Kalle Kalima, the New York bassist Chris Dahlgren and the German drummer Eric Schaefer compile dozens of musical preferences and experiences from their cardinal points. But, unlike numerous other projects in the wide fields of the Berlin jazz scene, the musicians turn out as a real band. A band in which a lot of things happen spontaneously, but few things happen by chance. On their new cd „…Fire!“, inspite of the music’s openness, they sound so tight and self-contained that it’s hard to trace back which intention, which impulse and which element goes back to which initiator. And while most of the pieces on „…Fire!“ come the invidual band members, they sound as if they were written by a single person. Johnny La Marama is no trio in the classical sense, but an intuitive unity. „ Although we only improvised in the beginning“, drummer Eric Schaefer remembers the beginning four years ago, „ it worked out immediatly, because we like a similar kind of music, and need a comparable level of freedom. It came naturally for us to find a common language to develop this collective sound that we brought from three different directions. We all pull together concerning our musical style, which shows influences of, for instance, Post Rock, Metal, Drum’n’Bass, New Classical Music, Captain Beefheart and Frank Zappa.“
The album title’s accordance to an authorized Zappa bootleg is mere chance. But Zappa’s historical question „Does humor belong in music?“ runs through the cd like a thread, connecting all of the tracks, which run between ten minutes and four seconds. If there is a conceptional umbrella term for Johnny La Marama at all, then maybe ‚urban blues grotesques’. Urban because of the noise and the open and subliminal hectic-ness of the tracks, blues because of the guitar and the nocturnal flair of the pieces, and humor that doesn’t make you laugh out but invites you to smile beningly. „ Some of the tracks on the record are actually simple blues“ , Schaefer says, „ that only sound more complicated because we added something. Actually, it’s the principle of call and response; we always give each other enough space to respond to calls. There is no traditional role allocation like a soloist and a accompanyist. Through the groove, we open common rooms, and slowly develop within this architecture. When we played together for the first time there were already noticable song structures. It was astounding to ourselves, how logical our pieces developed. There always was a certain groove, some kind of undertow to something juicy between HipHop, Drum’n’Bass and Rock. Even though there amay be a lot of breaks within one track, we don’t try to formulate some particular concept, we just follow the pure joy of playing. We have fun combining Rock, Jazz and New Classical Music in this groove-habit.“
But the fascinating twilight charm of Johnny La Marama doesn’t only come from the music. As virtuosic as all three groove- and sound-magicians are in controlling their instruments and musical idiom, they know, masterly, how to juggle with attitudes and platitudes. From time to time one is reminded of old comics in the style of Will Eisners „Spirit“, or memories of Film Noirs from the 40s, surf sounds and insipid american thriller series from the 60s, and „Schweinerock“ from the 70s. That’s how Johnny La Marama has found a very individualistic way to bundle diverse anachronisms in the here and now. „ We definetly find ourselves in comics in which the size of our suit is always one too large and the goons have backs like oxen; comics in which everything is a little bit exaggerated, but nevertheless representing a demimonde that stands for a certain kind of adventure. Of course we’re neither Cubans nor a Hard-Rock band from the seventies. But we enjoy to engage in strangely juxtaposed musical spaces. Jazz has always been using eclecticism anyway. You just have to find a way to put all the different pieces together and make them your own. The listener decides whether we succeed gloriously or not at all. Anyway, it is a delight for us to put ourselves into the most different musical situations and to tap the full potential.“
The three musicians from Johnny La Marama are connected through their dare-devil love of music. Eric Schaefer was already introduced to Blues, Rock’n’Roll and Funk by his father. Kalle Kalima grew up with Jimi Hendrix, Pink Floyd and Led Zeppelin and has the reputation of being a most audacious nonconformist among european guitarists. Chris Dahlgren, a little bit older than the two Europeans, brings in his memories of Weather Report concerts and his intense collaboration with Anthony Braxton and the New York Jazz-Avantgarde. All three of them advance outside the band. But when Johnny La Marama calls, they don’t have any other chance but to answer.
„ When Johnny calls, we have to meet.“ recapitulates Eric Schaefer. „ Each musician has something he anxiously wants to try with the others. We meet, someone reads a book about Mexican frogs who’s names correspond to some substances you can ingest. Then we go on tour and meet someone who doesn’t want to exchange cds with us, because he doesn’t want to cart too much luggage. Out of that we make a piece about a father who always rejected Johnny. That’s how we handle those rejections. Later, we pass through the Alps in a small train where you could consume several hard liquors (if required), and the names of those liquors, placed in a numeral order, will make a new song text that will ask for its music…. As soon as we’re together as a band, an endless stream of things is washed up. Johnny works like a magnet that attracts things out of every corner.“
Johnny La Marama is a band and – so much is proved by their latest cd – at the same time so much more. Johnny La Marama is an adventure, a story, a bittersweet dream, an unrealizable desire, an indulgence in immoderateness, the ideal intersection of exaggeration and understatement, a stylish tastelessness, a bubble-bath in fiction, a timeless somewhere in nowhere but yet the soundtrack to every day life’s monotony of departure and return.