Release September 18, 2015
EAN/UPC: 705304462126
Traumton CD: 4621
Lineup
Martin Klein: vocals, piano
Musik & Text: Martin Werner Klein, Traumton Musikverlag
#13 Musik: Franz Schubert, Text: Wilhelm Müller
„Nur einmal“und „Schachtel aus Papier“ geschrieben für den Film
„Das Kind in der Schachtel“, Regie Gloria Dürnberger/Nikolaus Geyerhalter Filmproduktion
Aufgenommen von Harald Hajek und Michael Waldegg C-Arts Classical Arts, Wien, ohne Overdubs
Mischung und Mastering Wolfgang Loos, Traumton Studios, Berlin
Info / Info english
Martin Klein – Das Leben hat´s doch gut mit uns gemeint
In den acht Jahren, in denen Martin Klein als Sänger, Pianist und Loop-faszinierter Klangkünstler in der Wiener Alternative-Pop-Szene aktiv ist, erwarb er sich den Ruf, mit jeder Veröffentlichung Neuland zu erkunden. Auf englischsprachigen Piano-Power-Pop im Trioformat (Songs For My Piano, 2008) folgten 2011 das komplett deutschsprachige, nur auf Gesang und Klavier fokussierte Album Lass uns bleiben und 2013 schließlich Tracks For My Keyboards, eine mit Vintage-Electro-Orgeln eingespielte Sammlung tanzbarer und Ambient-artiger Stücke, die fast ganz ohne Text auskommen.
Auf den Konzerten, die Martin Klein anlässlich seines letzten (im Eigenverlag erschienenen) Albums gab, machte der Vollblut-Musiker jedoch deutlich, dass er sich mitnichten von einem der vorangegangenen Stile abgewandt habe. Vielmehr zeigte er mit Verve, wie viel ihm daran liegt, sie gleichberechtigt fortleben zu lassen. Und dies schließt weiterhin Auftritte mit seiner Jazz-bewanderten Rhythmusgruppe (Manuel Brunner, E-Bass + Alex Kerbl, Schlagzeug) mit ein, die schon oft demonstrierte, dass auch viele der deutschsprachigen Stücke hervorragend rocken und rollen.
Nun erscheint von dem 32jährigen, dessen vermeintliche Sprunghaftigkeit schon so manch österreichischen Berichterstatter irritierte (was Martin Klein übrigens in einer fingierten Radioshow, die sich auf seinem Soundcloud-Portal anhören lässt, genial persiflierte) das vierte Album Das Leben hat’s doch gut mit uns gemeint. Auf den ersten Eindruck hin weist es eine frappierende Ähnlichkeit mit dem zweiten auf: erneut auf Gesang und Flügel reduziert, die gleiche Anzahl an Stücken, die der Mann am Klavier auch hier wieder in einem Rutsch, sprich: „Ohne Overdubs“ (um schon mal einen Songtitel vorwegzunehmen), einspielte.
Darin könnte man nun gerade eine Volte wittern, doch der Hintergrund dieses für Martin Klein ungewöhnlichen Schritts ist ganz prosaisch: über die Jahre, in denen er – u.a. als Filmkomponist, doch vor allem: für sich – neue Klanglandlandschaften auslotete, entstanden parallel auch immer weitere deutschsprachige Lieder. Und als dann ein Dutzend beisammen war, lag es nahe, sie in ähnlicher Form wie Lass uns bleiben zugänglich zu machen.
„Mir war mal wieder danach ein paar deutschsprachige Lieder zu schreiben. Ich hab mich ins Studio gehaut und sie aufgenommen. Drei Stunden. Der Martl, ein Flügel und das Studio. Das war’s. Ich find die Songs sehr leiwand (österreichisch für „klasse“; AdV) und hoffe, dass das Berliner Label sie raus bringt.“ , war vor rund einem Jahr auf der Facebook-Seite des Künstlers zu lesen. Und ja – das Berliner Label war und ist von Martin Kleins neuen Stücken nicht minder fasziniert als beim denkwürdigen Augenblick, als es, zu weit zurückliegenden MySpace-Zeiten, unter flotten (immer noch hörenswerten) Ben-Folds-Five-Verbeugungen wie „Don’t Let It Get You Down“ plötzlich einige deutsche Balladen entdeckte, die in ihrer berührenden Poesie und Melodieversonnenheit ihm ein Liebe-auf-den-ersten-Hörer-Erlebnis bescherte, wie es nicht alle Tage vorkommt.
Seither sind durch kammermusikalische (wenngleich medial groß aufgezogene) Ausflüge sogenannter „Deutsch-Poeten“ oder Konzertformate wie „TV Noir“ viele Singer/Songwriter-affine Menschen auf den Geschmack des natürlichen Klavierklangs gekommen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich jenes Publikum von Martin Kleins neuer Liedersammlung ebenfalls angesprochen fühlt. Doch was ihn gegenüber vielen jener Protagonisten auszeichnet, ist die Gabe, bei allem Gefühl nie in Larmoyanz zu verfallen.
Vielmehr zeigen Martin Kleins Lieder Wege auf, die Wahrnehmung für die schönen Dinge des Lebens zu schulen, die unschönen (wie z.B. die im Spruch „Wer Tauben füttert, füttert Ratten“ zu Tage tretende Gesinnung einiger Wiener Mitbürger) nicht gleich persönlich zu nehmen und wie sich Notlagen oft am besten mit Humor lösen lassen. So etwa in „Unten auf der Gasse“, wo eine durch Stromausfall vereitelte Songskizze zum Denkanstoß wird, das nächste Mal besser auf die Handschrift zu vertrauen. Auch die das Titelstück abrundenden Zeilen („Heut‘ kann man keine Kästen bauen/oder Zahlen generieren/Heut‘ kann man in den Himmel schauen/und dabei was phantasieren./Heut‘ bekommt man nur das Neue/und das Alte nicht dazu,/denn das Neue gibt uns Hoffnung/und das Alte drückt im Schuh.“) zeigen die Möglichkeit auf, wie das Annehmen tagesaktueller Gegebenheiten, und seien sie „nur“ meteorologischer Natur, eine optimistischere Haltung begünstigen kann.
Dabei zeichnet es Lieder wie „Du“, „Bleib noch ein paar Stunden hier“ oder das eröffnende „In sich ruht die Welt“ aus, dass sie um die Flüchtigkeit solcher (Glücks-)Momente wissen, die ohne Vorbehalte und mit aller Sinnlichkeit (selten ist körperliche Behaglichkeit an einem heißen Sommertag so aufreizend lasziv geschildert worden wie im letztgenannten Stück) beschrieben werden. Und man muss sich nicht erst eingehend mit Heraklit beschäftigen (obgleich die Anregung dazu sicher in Martin Kleins Sinne wäre), um für die Metaphern in „Alles fließt“ und „Zu weit“ empfänglich zu sein.
Und wenn mal, wie in den für Gloria Dürnbergers Dokumentarfilm „Das Kind in der Schachtel“ geschriebenen Balladen, die besungenen Umstände zunächst nur wenig Trost verheißen, darf auf die kathartische Wirkung der direkten Konfrontation („Aber was, wenn wir nur einmal richtig sehen?“) vertraut werden. Der kongeniale Moment, wo in Gloria Dürnbergers autobiographischer Recherche die Strophe „Die Wirklichkeit verschmilzt mit/der Zeit und sie denkt nach/durchbricht damit die Schutzschicht/die im Verborgenen lag“ erklingt, dürfte nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass „Das Kind in der Schachtel“ 2014 beim Grazer Filmfestival „Diagonale“den Publikumspreis erhielt.
Die souveräne Art, mit der Martin Klein in seinem abgesteckten Terrain für größtmögliche Abwechslung sorgt, macht es daher plausibler, ihn in Gesellschaft gleichaltriger Landsmänner wie Andres Spechtl oder solch verdienten Meistern der Beobachtungsgabe wie Bernd Begemann, Jens Friebe (der immer öfter Geschmack an Solo-am-Flügel-Performances zu finden scheint) und – vor allem in dessen Eigenschaft als Texter für Erika Pluhar und Marianne Mendt – André Heller zu sehen. Und was sein ebenso feinfühliges wie temperamentvolles Klavierspiel angeht, dürfen ruhig die live aufgezeichneten Solo-Werke von Carole King und Laura Nyro bzw. von Randy Newman und Allen Toussaint (das bereits erwähnte „Unten auf der Gasse“ bringt a lot of Louisiana-Blues ins Kaffeehaus!) in die Runde geworfen werden. Und falls jemandem bei Kleins kraftvollem Anschlag in „Keine Overdubs“ die zweite Seite von Keith Jarretts Köln-Konzert (also „Part II a“) in den Sinn kommt: nur zu !
Visuell hat Das Leben hat’s doch gut mit uns gemeint jedoch mehr mit Jarretts Mysteries-Album gemein, auch wenn auf der Cover-Phoneographie der Wiener Foto-Künstlerin Claudia Kraus statt entlaubter Bäume hochgewachsene Gräser (und „Spalier stehende Wolken“) zu sehen sind.
„Wir werden tagtäglich mit einer gigantischen Flut an Bildern und Reizen konfrontiert, die uns mitzureißen und wegzuspülen droht und uns entfernt von dem, was uns als Mensch ausmacht. Wir sind stets Vergleichen ausgesetzt, werden aufgerufen, uns darzustellen und zu positionieren. Und irgendwann entsteht der Wunsch zu flüchten: Hinein in eine Welt, die auf Elementares reduziert ist und Ruhe gibt.”, reflektiert Claudia Kraus auf ihrer Website und erweist sich auch hiermit als Schwester im Geiste von Martin Klein, der bereits vor einigen Jahren auf die Interview-Frage, ob für ihn nun in der Lebensführung karrierebedingte Veränderungen anstehen würden, entgegnete: „Ich möchte gar nicht das ganze Jahr auf Tour sein, sondern früh aufstehen und auf den Berg gehen, um dort ein Klavierstück zu schreiben. Sehen, wie sich die Vegetation verändert, die Sonne aufgeht, einfach Zeit für Beobachtung haben.“
Diese Haltung durchdringt auch seine neuen zwölf Lieder, die um eine ganz spezielle „Cover-Version“ ergänzt werden. Denn Das Leben hat’s doch gut mit uns gemeint schließt mit „Gute Nacht“, dem Eröffnungsstück aus Schuberts Winterreise ! In den letzten zwanzig Jahren sind ja einige renommierte Popkünstler im (spät-)romantischen Lied-Repertoire fündig geworden (Jeff Buckley bei Benjamin Britten, Martha Wainwright bei Ralph Vaughan Williams oder Louis Philippe und Danny Manners bei Francis Poulenc), doch bei Martin Klein erweist sich dieser Fingerzeig als besonders plausibel.
Denn bereits auf Lass uns bleiben fanden sich viele Reminiszenzen an das Schubertsche Kunstlied (hier wären „Das Floß“, „Nebel“ und „Der Fischer und das Mädchen“ zu nennen). Und bei Kleins feinfühliger Interpretation der Worte Wilhelm Müllers ist auch ein direkter Bezug zu einem seiner neuen Stücke zu erkennen: „Doch ich weine nicht“ ist mit Zeilen wie „Ich steig‘ wo ein,/steig‘ wieder aus, bin ganz verloren./Die Kälte hat das Bahnhofslicht schon fast erfroren“ thematisch ganz nah dran am rastlosen Ich-Erzähler der Winterreise. Und es kann kein Zufall sein, dass Martin Klein gegen Ende des Stücks – anstelle die letzte Strophe („Will dich im Traum nicht stören,/wär schad um deine Ruh/Sollst meinen Tritt nicht hören,/sacht, sacht, die Türe zu“) anzustimmen – eine Art rhythmische Reprise von „Keine Overdubs“ erklingen lässt, die als zusätzlicher Ansporn zum Aufbruch nach neuen Ufern verstanden werden darf.