Release November 13, 2015
EAN/UPC: 705304462621
Traumton CD: 4626
Lineup
Matthias Loibner: hurdy gurdy
all compositions by Matthias Loibner
except 10 by João Pernambuco
recorded with love
in august 2014 at St. Wolfgangi, Austria
hurdy-gurdy alto by Wolfgang Weichselbaumer (2002)
recording engineer: Johann Steinecker
equipement: Ton Eichinger
recording format: 24/96
mastering: Wolfgang Loos, Traumton Studios
Info / Info english
Matthias Loibner – Lichtungen
Es gibt europaweit nicht viele Musiker, die sich ganz und gar der Drehleier verschrieben haben. Noch seltener sind jene Virtuosen, die den angestammten Horizont des Instruments nachhaltig erweitern. Matthias Loibner hat sich mit Volks- und Barockmusik beschäftigt, spielte beispielsweise als erster Joseph Haydns Kompositionen für Orgelleier ein, außerdem Stücke von Vivaldi und Chedeville. Darüber hinaus erschloss Loibner neues Terrain für die Drehleier, ließ sich von traditioneller Musik vom Balkan bis Ostafrika inspirieren, interpretierte Schuberts „Winterreise“, lotet Schnittstellen zum Jazz aus und experimentiert mit Elektronik. Oft arbeitet er dabei mit prominenten, bisweilen ebenso stilprägenden Partnern, etwa den Folk-Querdenkern Deishovida, dem pan-europäischen Sandy Lopicic Orkestar, der Jazzbigband Graz, dem avantgardistischen Trompeter Franz Hautzinger, der Sängerin Nataša Mirković und dem Ensemble Baroque de Limoges. Zudem war Loibner in Film- und Theaterproduktionen mit Hubert von Goisern, Henning Mankell, Dimiter Gotscheff und anderen involviert.
In den vergangenen 25 Jahren entwickelte Matthias Loibner einen eigenwilligen, schillernden Drehleier-Sound und profilierte sich gleichzeitig als facettenreicher Komponist. Für seine Spielweise und seinen Gestaltungswillen wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem renommierten französischen „Choc du Monde de la Musique“. Unter seinen vielen Veröffentlichungen ist Lichtungen erst das zweite Album, das er solo aufgenommen hat. Nur mit einer Drehleier, ohne elektronische Effekte. Sein Instrument stammt aus der Wiener Werkstatt von Wolfgang Weichselbaumer, einem Spezialisten für moderne Drehleier-Ausführungen. Im Gegensatz zu traditionellen Varianten verfügen sie über mehr Saiten, einen größeren Tonumfang und mehrkanalige Verstärkungsmöglichkeiten.
„Auf meiner ersten Solo-Platte habe ich verschiedene Geschichten erzählt. Diesmal gibt es ein übergreifendes Thema, das sich um den Titel des Albums Lichtungen dreht“, erklärt Matthias Loibner. „Manchmal erlebt man etwas, das einem den Mund offen stehen und die Gedanken pausieren lässt. Solche Momente waren die Ausgangspunkte für die Kompositionen.“ Es sind kleine Beobachtungen, die den Drehleier-Virtuosen inspirieren, Kontemplationen, die manchmal fast einer Meditation nahe kommen. „Am Küchentisch sitzen und eine Kerbe im Holz studieren“, schlägt Loibner als Motiv vor, „oder in Glut schauen, die sich ständig wandelt. Den gleichen Eindruck bekommt man, wenn man einen Laubbaum im Wind anschaut. Er bewegt sich immer anders und sieht nie gleich aus.“
Zum Wesen der Drehleier und zu Matthias Loibners Selbstverständnis als Komponist gehört die Nähe von himmlisch-klaren und kratzig-rauen Tönen. Klug gesetzte Kontraste sind ihm wichtig, und so changieren seine Stücke zwischen optimistischen und melancholisch angehauchten Stimmungen, zarten Melodien und schwungvollen Rhythmen. Viele Passagen strahlen eine in sich ruhende Energie aus, eine Souveränität, die durch gezielte Reduktion Stimmungen verdichtet und intensiviert.
„Ich hatte einen relativ ungewöhnlichen Werdegang“, fasst Matthias Loibner seine frühen Musikerjahre zusammen. 1969 als Sohn eines Organisten geboren, wurde er bald in die Harmonielehre eingeführt und begann mit Klavier, um später auch Gitarre und Posaune zu lernen. An der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz schrieb er sich für klassische und Jazz-Komposition sowie Orchesterleitung ein. „Natürlich habe ich während des Studiums alles mögliche gelernt, manches davon erschien mir aber inhaltsleer, trotz technisch hochstehender Aufführungen. Im Gegensatz dazu wurde Volksmusik oft belächelt und als schlampig oder unsauber abgetan.“ Schon damals fand er diese Bewertung unangebracht. Dennoch beschäftigte sich Loibner, gewissermaßen zwangsläufig, überwiegend mit Klassik, bis ein Festival dazwischen funkte. „Ich hörte dort serbische und bulgarische Volksmusik, die mich viel stärker berührte“, erinnert sich Loibner an sein Schlüsselerlebnis.
Gleichgesinnte Musiker fand er in der österreichischen Bewegung Neue Volksmusik. Ein Freund überreichte ihm eine Drehleier, die Loibner zunächst auf eigene Faust erlernte. Schließlich gab er sein Kompositionsstudium auf und widmete sich nur noch dem neuen Lieblingsinstrument. Nach diversen Kooperationen mit musikalischen Partnern aus sehr unterschiedlichen Stilen war Loibner klar, dass er sich schnell in verschiedene Konstellationen einhören konnte. Noch stärker betont er aber die Erkenntnis, worum es ihm in der Musik zu allererst geht. „Ich fragte mich, wie ich einem Fremden erkläre, wie man einen österreichischen Walzer spielt, dabei fiel mir auf, dass wohl jeder zweite Musiker diese Frage anders beantworten würde. Es kommt also viel mehr auf die Persönlichkeit des Spielers an als auf das Genre, in dem er sich gerade bewegt. Seitdem beschäftige ich mich vor allem mit den Menschen, die ich in verschiedenen Szenen kennen lerne.“
Dass Lichtungen kaum in gängige Schubladen passt, entspricht Loibners aufgeschlossenem Naturell und seiner künstlerischer Haltung. „Ich mag es, wenn Stile ineinander fließen. Es soll nach etwas eigenem klingen, nicht konkret nach Balkan oder Jazz oder Barock.“ Letztlich gehe es bei Musik doch um Inhalte, nicht um die Form. „Ich finde es uninteressant zu demonstrieren, was auf der Drehleier alles möglich ist, vielmehr möchte ich etwas von mir und meiner Geschichte mit anderen teilen.“
Seine zweite Solo-Platte ist für Matthias Loibner eine echte Herzensangelegenheit. Vor allem weil der Wahl-Wiener damit rechnet, bei seinen nächsten Produktionen wieder mit Musikern oder Ensembles zu arbeiten. Viele Entscheidungen rund um Lichtungen hat Matthias Loibner intuitiv getroffen, zudem ließ er sich reichlich Zeit für die Aufnahmen in einer idyllisch gelegenen Bergkirche. Obwohl manche Stücke ein weites akustisches Panorama ausbreiten, gibt es keine Overdubs. Was Kenner schon immer wussten, wird hier auch allen klar, die sich bislang eher am Rande mit dem speziellen Instrument beschäftigt haben: der Drehleier wohnt ein imaginäres Kammerensemble inne. Und Matthias Loibner versteht es meisterhaft, den enorm vielfältigen Klangreichtum der Drehleier hervorzuzaubern und aufleuchten zu lassen.
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Matthias Loibner – Lichtungen (english)
Europe-wide there are not many musicians, who have committed themselves entirely to the hurdy-gurdy. Virtuosos, who sustainably widen the ancestral horizon of this instrument, are even more rare. Matthias Loibner has played and studied folk and baroque music. He was the first to record Joseph Haydn’s compositions for Lira Organizzata, the organ lyre, as well as pieces from Vivaldi and Chedeville. But furthermore, Loibner entered new terrain for the hurdy-gurdy, was inspired by traditional music from the Balkans to East Africa, interpreted Schubert’s “Winterreise” [Winter Journey], fathoms connections to jazz and experiments with electronics. Thereby he often works with prominent and sometimes equally style-defining partners, for example the nonconformists of folk music Deishovida, the pan-European Sandy Lopicic Orkestar, the Jazzbigband Graz, the avant-garde trumpeter Franz Hautzinger, the singer Nataša Mirkovic and the Ensemble Baroque de Limoges. In addition, Loibner was involved in film and theatre productions with Hubert von Goisern, Henning Mankell, Dimiter Gotscheff and many others.
In the past 25 years Matthias Loibner has developed a dazzling and idiosyncratic hurdy-gurdy sound and at the same time distinguished himself as a multifaceted composer. For his way of playing and his creative will he has been awarded several prizes, among them the renowned French “Choc du Monde de la Musique”. Among his many releases, “Lichtungen” is only his second solo production, with only a hurdy-gurdy and without electronic effects. His instrument was crafted in the Viennese workshop of Wolfgang Weichselbaumer, a specialist for modern hurdy-gurdy models. Compared to traditional versions, they have more strings, a wider range and multi-channel amplification possibilities.
“On my fist solo record I told various separate stories. This time there is an overall theme, which centers around glades, the title of the album ‘Lichtungen’,” Matthias Loibner explains. “Sometimes you experience something that makes your mouth fall open and pauses your thoughts. Such moments were the inspirational source for the compositions.” It is the small observations that inspire the hurdy-gurdy virtuoso, contemplations that are sometimes almost meditation-like. “Sitting at the kitchen table and studying a notch in the wood,” Loibner suggests as a motive, “or looking into glowing embers that are constantly transforming. You get the same impression when watching a leaf-bearing tree in the wind. It moves ever differently and never looks the same.”
Part of the essence of the hurdy-gurdy and of Matthias Loibner’s self-conception as a composer, is the nearness of heavenly-clear and raspy-rough sounds. Cleverly placed contrasts are important to him and thus his pieces change between optimistic and melancholically tinted atmospheres, delicate melodies and zestful rhythms. Many passages exude a reposing energy, a sovereignty that concentrates and intensifies moods through purposeful reduction.
“I have a relatively unusual background”, Matthias Loibner recapitulates his early years as a musician. He was born in 1969 as the son of an organist, was soon introduced to the theory of harmony and started playing piano, before learning guitar and trombone later on. He enrolled for classical and jazz composition, as well as orchestral conducting, at the conservatory for music and performing arts in Graz. “Of course I learned all kinds of things during my studies, but some of it seemed to lack content, despite its technically superb performance. On the other side, folk music was often belittled and dismissed as sloppy and impure.” Back then already, he found this evaluation inappropriate. Nevertheless, Loibner somewhat unavoidably concentrated predominantly on classical music, until a certain festival butted in: “There I heard Serbian and Bulgarian folk music that moved me much more deeply,” Loibner remembers his key experience.
He found like-minded musicians in the Austrian movement “Neue Volksmusik” [New Folk Music]. A friend gave him a hurdy-gurdy, which he played self-taught at first. Eventually he gave up his composition studies and devoted himself fully to his new favorite instrument. After various collaborations with musical partners of various styles, it became clear to Loibner, that he could quickly integrate his sound into different constellations. Though he emphasizes the realization, what music is primarily about to him, even more strongly: “I ask myself, how I would explain to a stranger, how to play an Austrian waltz. Thereby I noticed, that probably every second musician would answer this question differently. So it depends much more on the personality of the musician, then on the genre he his currently playing. Ever since, I concern myself mainly with the people that I meet in the different scenes.”
By not fitting into any prevalent genre or category “Lichtungen” matches Loibner’s open-minded nature and his artistic attitude. “I like it when styles converge. It should sound like something of its own, not concretely like Balkan or jazz or baroque.” In the end, music is about the contents and not the form. “I find it uninteresting to demonstrate everything that is possible on the hurdy-gurdy. I would much rather like to share a part of myself and of my story with others.”
For Matthias Loibner, his second solo record is a matter very near to his heart, especially because the Viennese-by-choice expects his next productions to be with other musicians or ensembles again. Matthias Loibner reached many decisions about “Lichtungen” intuitively. In addition, he took his time for the recording, in an idyllically located mountain church. Although some pieces unfurl a broad acoustic panorama, there are no overdubs. What aficionados knew all along, becomes clear to anyone now, who has so far only marginally concerned himself with this particular instrument: an imaginary chamber orchestra is inherent in the hurdy-gurdy. And Matthias Loibner knows how to masterfully conjure up and flash on the manifold richness of sound of the hurdy-gurdy.