Release October 07, 2016
EAN/UPC: 705304463628
Traumton CD: 4636
Lineup
Andreas Völk: guitar & effects Laurenz Gemmer: piano Kenn Hartwig: bass & effects Thomas Sauerborn: drums & things
Music composed by Andreas Völk
Published by Traumton Musikverlag
Recorded and mixed by Wolfgang Stach at Maarweg Studio 2, Cologne
Mastered by Wolfgang Loos at Traumton Studios, Berlin
Produced by Andreas Völk
Info / Info english
Enjuti – Schönheit durch Zerbrechlichkeit
Man könnte es so auf den Punkt bringen: Enjuti verbinden Rock-Emphase und Jazz-Ideen mit aktuellen elektronischen Sounds. Um der individuellen Ausstrahlung des Quartetts auf die Spur zu kommen, braucht man ein paar mehr Worte. Beinahe eingängige Melodien begegnen überraschenden harmonischen Wendungen und ausfasernden Passagen. Gradlinig zupackende Beats zerfallen in gebrochene Rhythmen oder setzen für eine Weile ganz aus. Abstrakte Töne quellen aus Effektgeräten und Loopern oder entstehen durch Manipulationen im Inneren des Flügels. Mäandernde Motive, klare Riffs und komplexe Strukturen treffen aufeinander, verschmelzen und lösen enorme Energieschübe aus. Die Freiheitsliebe der vier Musiker manifestiert sich in einer stetigen Spannung zwischen ausgeklügelten Kompositionen und pointierten Improvisationen, wobei letztere weitgehend auf traditionelle Soli verzichten und selten ins komplett Dissonante abdriften. Live weiten sich auch ursprünglich recht kompakte Stücke zu unvorhersehbaren Trips mit hypnotisierender Intensität. Enjutis Dramaturgie ist so unkonventionell wie faszinierend: aus nadelfeinen, kaum hörbaren Einzeltönen wird nach und nach eine gewaltige, zuweilen Drone-ähnliche, monolithische Klangwand, die schließlich Zeit und Raum auflöst und das faszinierte Publikum in andere Sphären versetzt.
Wer hätte geahnt, dass eine Begegnung beim Landesjugendjazzorchester Hessen zu einem dermaßen eigenwilligen, progressiven Quartett führen könnte? Während einer China-Tour der Bigband lernten sich die vier Instrumentalisten 2010 intensiver kennen. Wenig später gründeten sie in Köln Enjuti. Ihre teils recht unterschiedlichen persönlichen Hintergründe und musikalische Vorlieben empfanden sie als perfekte Grundlage. Gemeinsam war und ist ihnen die Überzeugung, dass Musik mehr sein sollte als eine nette akustische Tapete. Enjuti lösen Emotionen aus, können provozieren und polarisieren, fordern den Zeitgeist heraus.
Andreas Völk, Jahrgang 1989, als Haupt-Komponist der Stücke zumindest formal ein wenig Primus inter Pares des Kleeblatts, stammt ursprünglich aus dem hessischen Marburg und begann mit 10 Jahren, Gitarre zu lernen. Nach dem Abitur studierte er an der Hochschule in Osnabrück unter anderem bei Frank Wingold. Ein Workshop dort brachte die erste Begegnung mit Pianist Laurenz Gemmer, der seinerseits bei Hubert Nuss studiert hatte und seinen Master-Abschluss bei Florian Weber absolvierte. Gemmers Performance beeindruckte ihn, erinnert sich Andreas Völk, „besonders als er von außen auf den Flügel schlug und den entstehenden Klängen lauschte.“ Das nächste „Zeichen“ für eine Zusammenarbeit war, dass Gemmer überraschend als Aushilfe bei der besagten China-Tour der Bigband mitreiste.
Die Verbindung der beiden Musiker, zwischen denen immerhin neun Jahre liegen, rührt laut Völk aus ihrem weit gefächerten Musikgeschmack und einer Vorliebe für Spontaneität. Als Gitarrist ist er vor allem von Progressive Rock und Crossover geprägt, sagt Völk und nennt Bands wie Radiohead, Red Hot Chili Peppers und Rage Against The Machine. Gleichzeitig entwickelte er schon früh ein Faible dafür, bestehende Kompositionen gegen den Strich zu spielen, zu improvisieren und neu zu gestalten. Selbstverständlich beherrscht er gängige Jazz-Phrasierungen; variable Klangfarben liegen ihm aber definitiv näher als Griffbrett-Raserei. Von je her ist Musik für Andreas Völk eine substantielle Ausdrucks- und Kommunikationsform; nicht zuletzt seine Bachelor-Arbeit kreiste um das Phänomen, wie Klangwellen Emotionen auslösen können. An Laurenz Gemmer schätzt er vor allem dessen weiten Horizont, der von Klassik und Moderne über zeitgenössische Improvisierte Musik bis zu interdisziplinären Formen, etwa Tanztheater, reicht. Gemmers Gestaltungswillen fasziniert auch die Zuhörer, umso mehr in Enjutis magischen Konzerten mit ihren spektakulär weiten Bögen.
Bassist Kenn Hartwig (29) und Schlagzeuger Thomas Sauerborn (28) lernten sich vor rund 10 Jahren im Bujazzo kennen. Sauerborn begann sein Studium in Amsterdam, wechselte von dort nach Köln und machte seinen Master in Kopenhagen. Hartwig schlug sich schon während seiner Hochschulzeit in Köln die Nächte bei Techno-Parties um die Ohren. Heute spielt er von Hiphop über Metal bis Elektro „alles, was Spaß macht“. Er initiierte das Nebenprojekt von Enjuti, genannt Das Ende der Liebe, das um elektronische Tanzmusik kreist. „Dafür haben wir uns eine Menge digitaler Geräte gekauft, die wir nun auch bei Enjuti manchmal einsetzen, besonders wenn es um flächige Sounds geht“, erklärt Völk.
Von Anfang an war Andreas Völk wichtig, dass sich Enjuti als Band versteht. Die Interaktion des Kleeblatts ist längst ebenso essentiell für den Gesamtsound wie seine notierten Kompositionen. Sie basieren häufig auf relativ einfachen Melodien, um Zuhörern einen gewissen Halt zu geben. Der Band dienen diese wiederum als Sprungbrett für mal knappe, mal weitläufige Improvisationen. Auf der Bühne können Stücke ineinander fließen oder, gleich einer mysteriösen Lebensform, ihre Gestalt ändern. Oft verblüffen sie darüber hinaus durch extreme Dynamik, deren epische Entwicklung an den Geist der legendären Godspeed You! Black Emperor aus Montreal erinnert. Es ist diese Mischung aus Entschlossenheit, Konzentration und Geduld, die den Charakter Enjutis ausmacht. „Ich bin großer Fan davon, Stücke über einen längeren Zeitraum gemeinsam zu entwickeln“, erklärt Andreas Völk. Einer der Gründe, warum das Debütalbum erst jetzt erscheint. Schon vor zweieinhalb Jahren nahm die Band einen Anlauf im Studio, war damals aber unzufrieden mit dem Ergebnis und ließ die Produktion in der Schublade verschwinden. Das nennt man konsequentes Qualitätsbewusstsein.
„Unsere prinzipielle Aufgeschlossenheit führt vermutlich langsamer zum Ergebnis als der übliche Prozess, Stücke zu schreiben und diese zu üben“, vermutet Völk, „sie ist aber letztlich viel befriedigender.“ Neben gemeinsamen Überlegungen eint die Band auch das Gefühl, beim Spielen etwas zusammen zu erleben, darin abzutauchen und dieses Erlebnis wiederholen zu wollen. Das Publikum und seine Reaktion spielt dabei eine wichtige Rolle, obwohl Enjuti keine Erwartungen bedienen, sondern lieber überraschen möchten. Es geht um die Freiheit, auszuleben, wie man wirklich ist, natürlich ohne dabei den Rest der Welt zu ignorieren oder gar zu verletzen. Eine Art transzendierter kategorischer Imperativ. Mit ihrer Musik und Haltung treffen Enjuti, ohne es plakativ herauszustellen, eine klare Aussage gegen Konformismus. Auch der Titel des Albums, Schönheit durch Zerbrechlichkeit, reflektiert Grundlegendes. „Ob in der Musik oder einem Gespräch, interessant wird es, wenn man sich öffnet und die Masken fallen lässt“, findet Andreas Völk, „viele Dinge würden einfacher, wenn man Fehler und Ängste zugeben könnte, ohne das Gesicht zu verlieren – und wenn man sich selbst nicht so wichtig nehmen würde.“
Die Utopie einer gesellschaftlichen Öffnung muss sich dieser Tage gegen heftige Angriffe der Gegenwart verteidigen. Enjuti werden hingegen nicht müde, künstlerisch für eben diese Offenheit zu plädieren. Mit juveniler Courage und kreativer Dringlichkeit definieren sie durch ihre Stücke und Konzerte Freiräume, in denen man für eine gewisse Zeit vieles loslassen kann. Enjutis dynamischer, ungewöhnlicher Musik wohnt eine kathartische Kraft inne, die auch in den Grenzbereichen des zeitgenössischen Jazz und Rock selten ist.
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Enjuti – Schönheit durch Zerbrechlichkeit (english)
To get right to the point: Enjuti combine rock emphasis and jazz ideas with current electronic sounds. To further understand the individual charisma of the quartet, it takes a few more words. Almost catchy melodies meet surprising harmonic changes and roving passages. Straight grasping beats disintegrate into broken rhythms or intermit completely for a while. Abstract sounds spurt out from effect and looper pedals or are formed by manipulations inside the piano. Meandering motifs, clear riffs and complex structures meet, merge together and unleash tremendous bursts of energy. The love of freedom of the four musicians manifests itself in a constant tension between cleverly worked out compositions and pointed improvisation, whereby the latter generally refrains from traditional solos and seldom drifts off into complete dissonance. When playing live, also the originally quite compact pieces can stretch to unforeseeable trips with hypnotic intensity. Enjuti’s dramatic composition is as unconventional as fascinating: fine, barely audible single notes gradually grow into powerful, at times drone-like monolithic walls of sound, which eventually dissolve time and space and transfer the fascinated audience into other spheres.
Who would have thought that an encounter at the Landesjugendjazzorchester Hessen [State Youth Jazz Orchestra of Hesse] could lead to such an individual, progressive quartet? During a tour through China with this big band in 2010, the four instrumentalists got to know each other more intensively. A little later they founded Enjuti in Cologne. They perceived their partly quite differing personal backgrounds and musical inclinations as a perfect basis. They had and still have the conviction in common, that music should be more than nice acoustic wallpaper. Enjuti arouse emotions, can provoke and polarize and challenge the zeitgeist.
Andreas Völk was born 1989 and as the main composer of the pieces he is at least formally somewhat of a primus inter pares of the cloverleaf. He is originally from the Hessian city Marburg and at the age of 10 he began learning guitar. After finishing high school he studied at the college in Osnabruck, among others with Frank Wingold. A workshop there led to the first encounter with pianist Laurenz Gemmer, who for his part studied with Hubert Nuss and completed his master’s degree with Florian Weber. Gemmer’s performance impressed him deeply, Andreas Völk remembers, “especially when he beat on the body of the piano and listened carefully to the emerging sounds.” The next “sign” for collaboration was that Gemmer unexpectedly came along as a sub on the aforesaid China-tour of the big band.
According to Völk, the connection of the two musicians, with an age difference of 9 years between them, stems from their wide-ranging taste in music and a fondness for spontaneity. As a guitarist he is most notably influenced by progressive rock and crossover, Völk says, and names bands like Radiohead, Red Hot Chili Peppers and Rage Against The Machine. At the same time he developed a predilection early on, for playing existing compositions against the grain, for improvising and rearranging. Of course he masters common jazz phrasing; variable tonal colors definitely suit him more though, than fret board frenzy. Music has always been a substantial form of expression and communication for Andreas Völk; even his bachelor thesis revolved around the phenomenon, how waves of sound can trigger emotions. In Laurenz Gemmer he especially values his broad horizon, which reaches from classical to modern music, including contemporary improvised music and interdisciplinary forms like Dance Theater. Gemmer’s creative will also fascinates the listeners, particularly in Enjuti’s magical concerts with their spectacularly wide arcs of suspense.
Bassist Kenn Hartwig (29) and drummer Thomas Sauerborn (28) met about 10 years ago in the Bujazzo [German National Youth Jazz Orchestra]. Sauerborn began his studies in Amsterdam; from there he switched to Cologne and completed his master in Copenhagen. Hartwig already spent his nights at techno parties during his college days in Cologne. Today he plays “everything, that’s fun to play”, from hip-hop to metal and electro. He initiated the side-project of Enjuti, named Das Ende der Liebe [The End of Love], which revolves around electronic dance music. “For that we bought ourselves plenty of digital effects, which we sometimes also use with Enjuti now, especially when it comes to spacy sounds,” Völk explains.
From the start it was important to Andreas Völk that Enjuti consider themselves a band. The interaction of the cloverleaf is just as essential to the overall sound as his notated compositions. They are often based on relatively simple melodies, to give listeners a kind of foothold. To the band however these serve as steppingstones to sometimes concise, sometimes more extensive improvisations. On stage pieces can flow into each other, can change their guise like a mysterious form of life. Furthermore they often amaze through extreme dynamics with epic developments that bring to mind the legendary Goodspeed You! Black Emperor from Montreal. It is this mixture of determination, concentration and patience that makes up the character of Enjuti. “I am a big fan of developing pieces together over a longer period of time,” Andreas Völk explains: one of the reasons why the debut album is released only now. Two and a half years ago the band already took an attempt at the studio, but wasn’t satisfied with the result and let the production disappear in the closet. That’s what you call consequent quality awareness.
“Our fundamental openness probably brings us to results more slowly than the usual way of writing pieces and then practicing them”, Völk assumes, “but it is much more satisfying in the end.” Besides the collective reflecting the band is united by the feeling of experiencing something together while playing, descending therein and wanting to repeat this experience. Thereby the audience and its reaction play an important role, although Enjuti don’t cater to expectations, but much rather wish to surprise. It is about freedom, about living out your true self, of course without ignoring or harming the rest of the world: a sort of transcended categorical imperative. With their music and approach Enjuti are making a clear statement against conformity without blatantly emphasizing it. Also the title of the album, Schönheit durch Zerbrechlichkeit, reflects fundamental aspects. “Whether in music or in a conversation, it get’s interesting when you open yourself up and drop all masks,” Andreas Völk says, “many things would be easier, when you admit mistakes and fears without loosing face – and when you don’t take yourself so seriously.”
These days the utopia of a societal opening up has to defend itself against fierce attacks of the present. Enjuti however are not getting tired of musically pleading this openness. With juvenile courage and creative urgency in their pieces and their concerts, they create open spaces, in which one can let go of many things for a certain time. A cathartic power that is rare even in contemporary jazz and rock is inherent in Enjuti’s dynamic, unusual music.