Release January 22, 2016
EAN/UPC: 705304461822
Traumton CD: 4618
Lineup
Ragga Gröndal: vocals Heinz Ratz: vocals, bass Egill Ólafsson: vocals Sævar Garðarsson: trumpet Hallvarður Ásgeirsson: guitar Gudmundur Pétursson: guitar Enno Dugnus: keyboards Ingo Hassenstein: guitar Jóhann Ásmundsson: bass Haukur Gröndal: clarinet, saxophone, bass Claudio Spieler: percussion, vocals Burkard Ruppaner: drums
Info / Info english
Strom & Wasser – Reykjavík
In den vergangenen Jahren haben sich Strom & Wasser, angeführt von ihrem Sänger, Songschreiber, Bassisten und Produzenten Heinz Ratz, vor allem mit deutschen Realitäten beschäftigt. Schon 2011 besuchte Ratz im Rahmen der Tour der 1000 Brücken viele hiesige Flüchtlingsunterkünfte und stellte mit Musikern und Vokalisten, die er dort kennenlernte, danach das mehrfach ausgezeichnete Projekt The Refugees zusammen. Zuvor wies der 1968 geborene Ratz durch spektakuläre Aktionen auf Obdachlosigkeit und Umweltverschmutzung hin; drei seiner Produktionen erhielten den Preis der deutschen Schallplattenkritik. Mit dem Doppel-Album Reykjavík beginnt nun ein neuer Zyklus. Es ist das erste einer geplanten Reihe, bei der Strom & Wasser mit Musikern aus verschiedenen europäischen Kulturmetropolen zusammen arbeiten. Auch bei diesem Projekt geht es Ratz um unvorhergesehene Begegnungen, frische Eindrücke und lebendigen Austausch
Warum nun der Blick nach Europa? Während alle Welt über die Schulden Griechenlands und anderer südlicher Länder diskutierte, ärgerte sich Heinz Ratz, dass der ursprünglich humanistisch geprägte europäische Gedanke zunehmend in Finanzdiskussionen unterging. „Durch die vielen Gespräche mit Flüchtlingen während unseres letzten Projekts habe ich außerdem eine gewaltige Diskrepanz festgestellt zwischen dem, wie wir als Europäer von Europa denken und dem, wie Flüchtlinge Europa empfinden“, erklärt Ratz. Mit Reykjavík und den geplanten weiteren Produktionen in anderen Städten möchte er die Aufmerksamkeit wieder auf den kulturellen Reichtum des Kontinents lenken. Damit einher gehen natürlich Reflexionen über Heimat und Fremde, der Willen zur Überwindung von Grenzen und das Streben nach Freiheit, das Nachdenken über die eigene Identität und die Freude an einem produktiven Miteinander.
Vor allem aber möchte Ratz einen Raum für poetische Begegnung schaffen, ausprobieren, was entsteht, wenn man Strom & Wasser in fremde Länder wirft. Wie sehr unterscheiden sich gemeinsame Alben mit zunächst isländischen, später auch baskischen, russischen, albanischen Musikern? Welche Antworten findet man im hohen Norden, welche Geschichten im Süden? Wie wirken Mythen, Landschaften, Metropolen, Mentalitäten auf die Musik, wie sehr lässt sich deutsche Sprache mit anderen europäischen Sprachen vermischen?
„Anfangs wusste ich nichts über Island“, beschreibt Heinz Ratz die Ausgangslage vor seiner ersten Reise nach Reykjavík, „also schaute ich mir die Insel und viele Konzerte an, um danach Musiker*innen anzusprechen, von denen ich intuitiv glaubte, dass sie menschlich und musikalisch zu meiner Idee passen würden.“ Ratz‘ Ziel war, dem Charakter Islands so nahe wie möglich zu kommen, ohne vollends auf das Terrain traditioneller Musik zu wechseln. So fand er in Egill Ólafsson einen Musiker und Autor, dessen Songs vielfach um die auf Island allgegenwärtige Mystik, um Geister, Heldensagen und die ewigen Kräfte der Natur kreisen. Seit bald vier Dekaden komponiert Ólafsson, Jahrgang 1953, für Film und Theater und tritt gleichzeitig als Schauspieler auf. Mit seiner Band Studmenn war er Mitte 2000 in Europa auf Tournee. Während der isländischen Schuldenkrise meldete sich Ólafsson auch politisch zu Wort, 2013 kandidierte er bei der Parlamentswahl für die Demokratische Partei. Die Singer/Songwriterin Ragga Gröndal, am 15. Dezember 1984 geboren, ist schon seit 2003 in der isländischen Szene präsent und in den letzten Jahren auch international aktiv. Rein statistisch besitzt jeder zehnte Isländer ein Gröndal-Album. Ehemals Folk-orientiert, nähert sie sich auf ihren jüngeren Alben einem internationalen Pop-Sound; dennoch vermittelt ihr leuchtender Gesang eine Art isländischen Geist, selbst wenn man die von ihr gesungenen Texte nicht versteht. Raggas Bruder Haukur feiert Ende Dezember seinen 40. Geburtstag, lebte 2001-2003 in New York und hat als Klarinettist und Saxophonist mit Persönlichkeiten wie Chris Speed und David Krakauer gearbeitet. Auch der 39 Jahre alte Gitarrist und Komponist Hallvardur Ásgéirsson verbrachte eine Weile in New York; Drummer Jón Indriðason war 1998 Mitbegründer der Funkjazz-Band Jaguar. Guðmundur Pétursson gehört zu den gefragtesten und kreativsten Studiomusikern Islands; auf zahllosen Alben zeigt er eine beeindruckende Vielseitigkeit. Bassist Jóhann Ásmundsson gehörte zu den vier Gründern der Band Mezzoforte, in deren Studio Paradís nun auch Strom & Wasser Teile von Reykjavík aufnahmen.
Insgesamt knapp vier Monate verbrachte Heinz Ratz auf der Insel, „die bizarre Vulkan-Landschaft und das Lebensgefühl dort haben auch bei mir tiefe Eindrücke hinterlassen. Deswegen sind meine Texte diesmal poetischer ausgefallen.“ Selbstverständlich verzichtet Ratz aber nicht völlig auf jene sarkastisch-bissigen Seitenhiebe, die von je her seine politische Haltung und sein unermüdliches Engagement unterstreichen.
Die vielfältige Musik des Albums ist weitgehend eine Gemeinschaftsarbeit von Strom & Wasser, Ólafsson, Petursson und den Gröndals, ergänzt durch Ideen weiterer Musiker, etwa dem österreichischen Perkussionisten Claudio Spieler. „Wir [Strom & Wasser] hatten zwei Songs vorkomponiert, ehe die Isländer mit ihren Skizzen ins Studio nach Hamburg kamen“, erzählt Heinz Ratz, „gemeinsam haben wir dann im Session-Prinzip alles weitere gemeinsam entwickelt.“ Die Aufnahmen in Hamburg entstanden in durchgängig gleicher Besetzung. „Ragga und Haukur sind natürlich sehr gut aufeinander eingespielt“, erzählt Ratz, „deswegen haben wir ihnen und Egill viel Platz gegeben, auch um eine gleichberechtigte Balance zwischen der isländischen und unserer Ästhetik zu kreieren.“ Bei den späteren Sessions in Reykjavík waren neben Gröndal, Ólafsson und Ratz auch Pianist Enno Dugnus und Gitarrist Ingo Hassenstein ständig dabei. Burkart Ruppaner und Jón Indriðason wechselten sich als Drummer ab, diverse isländische Instrumentalisten gaben sich die Studioklinken in die Hand.
Der Sound von Reykjavík vereint erdigen Rock und transparenten Folkpop, gleichzeitig umgehen alle Beteiligten nahe liegende Stereotypen. Der Song …Lism setzt gleich zu Beginn markante Zeichen, mit spannenden Vokalsätzen, Klarinette, orientalischer Perkussion und mitreißendem Rhythmus. Inselmystik beschwören Ragga Gröndals und Ólafssons Gesang oder Haukur Gröndals Flötenklänge, besonders poetisch in der Ballade Fernlaternchen und den schamanisch angehauchten Teilen von Furðudyr. Einen besonderen Akzent setzt auch Ragga Gröndals atmosphärische Vertonung von zwei Strophen aus Heinrich Heines Gedicht Minnegruß in Þú ert sem bláa blómið. Ganz andere Facetten entwickeln Stücke wie Lavamädchen und Professor Muck: hier blitzt der bekannt vehemente Strom & Wasser-Mix aus rauem Sprechgesang, kantigem Funk und wildem Ska-Punk auf. Insgesamt erzählen die 19 Stücke auf Reykjavík ungewöhnlich lebendig, welche Qualität entstehen kann, wenn man sich mit Menschen, Ideen und Lebensgefühl aus einer anderen Region beschäftigt. So ist Strom & Wassers Reykjavík erneut ein Klang gewordenes Plädoyer für Verständigung und ein gelungenes Beispiel dafür, was entsteht, wenn sich verschiedene Kulturen auf Augenhöhe begegnen.
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Strom & Wasser – Reykjavík (english)
In the past years Strom & Wasser [Power & Water], lead by their singer, songwriter, bass player and producer Heinz Ratz, have concerned themselves primarily with German realities. In 2011 Ratz visited many local refugee camps on his Tour of a Thousand Bridges. He thereafter put together the award-winning project The Refugees with musicians and vocalists that he had met there on his tour. Prior to this, Ratz, born in 1968, called attention to homelessness and pollution with spectacular campaigns; three of his productions received the “Preis der deutschen Schallplattenkritik“ [German Record Critics‘ Award]. With the double album Reykjavík,a new cycle begins. It is the first of a planned series, in which Strom & Wasser work together with musicians from different European cultural metropolises. To Ratz this project is also about unforeseen encounters, fresh impressions and lively exchange.
Why turn the attention towards Europe now? While the whole world is discussing the debts of Greece and other southern countries, Heinz Ratz is irritated that the originally humanistic European idea is increasingly being drowned in financial discussions. “In the many conversations with refugees during our last project, I also noticed a huge discrepancy between how we as Europeans think of Europe and how refugees perceive Europe,” Ratz explains. With Reykjavík and the planned following productions in other cities he wants to draw the attention once more to the cultural richness of the continent. This of course involves reflections about homeland and the foreign, the volition to overcoming borders and the pursuit of freedom, the contemplation about the own identity and the joy of a productive togetherness.
First and foremost though, Ratz wants to create a space for poetical encounter, to find out what develops, when Strom & Wasser are thrown into foreign countries. How much do albums recorded with Icelandic musicians at first, later with Basque, Russian and Albanian musicians differ from each other? Which answers are found in the far north, which stories are told down south? How do myths, landscapes, metropolises or mentalities affect the music and how well does the German language mix and blend with other European languages?
“At first I knew nothing about Iceland,” Heinz Ratz describes the initial situation before his first trip to Reykjavík, “so I took a look at the island and went to many concerts there, to approach the musicians afterwards, of whom I intuitively believed that they would go well with my idea on a personal and on a musical level.” Ratz’ aim was to come as close as possible to Iceland’s character, without switching completely to the terrain of traditional music. And so he found the musician and author Egill Ólafsson, whose songs often revolve around the mysticism, ghosts, heroic sagas and the eternal forces of nature ever-present on Iceland. Ólafsson, born in 1953, has been composing for film and theatre for almost four decades and performs as an actor as well. With his band Studmenn, he was touring Europe in the summer of 2000. During Iceland’s debt crisis Ólafsson also had his say politically and in 2013 he ran for the Democratic Party in the parliamentary election. The singer/songwriter Ragga Gröndal, born December 15th 1984, has been present in the Icelandic scene since 2003 already, and in the past few years has been internationally active as well. Statistically, one out of every ten Icelanders owns a Gröndal album. Formerly folk-oriented, she has been moving towards an international pop sound on her more recent albums; nevertheless her gleaming vocals convey a kind of Icelandic spirit, even when you cannot understand the lyrics she’s singing. Ragga’s brother Haukur will celebrate his 40th birthday end of December, lived in New York from 2001 to 2003 and as a clarinetist and saxophonist he has worked with big names like Chris Speed and David Krakauer. The 39-year-old guitarist and composer Hallvardur Ásgéirsson has spent some time in New York as well; the drummer Jón Indriðason was a founding member of the funk-jazz band Jaguar back in 1998. Guðmundur Pétursson is among the most sought-after and most creative studio musicians of Iceland; on countless albums he exhibits his impressive versatility. Bassist Jóhann Ásmundsson is one of the four founders of the band Mezzoforte, in whose studio “Paradís” Strom & Wasser now also recorded parts of Reykjavík.
Altogether Heinz Ratz spent almost four months on the island; “the bizarre volcanic landscape and the attitude towards life there have left a strong impression on me as well. That is why my lyrics turned out more poetic this time.” But of course Ratz doesn’t entirely refrain from those sarcastically biting side blows, which have always underlined his political stance and his unfailing dedication.
The diverse music of the album is largely a collaborative work of Strom & Wasser, Ólafsson, Pétursson and the Gröndals, completed by ideas of additional musicians, for instance the Austrian percussionist Claudio Spieler. “We [Strom & Wasser] had pre-composed two songs before the Icelanders came to the studio in Hamburg with their drafted ideas,” Heinz Ratz tells, “with a session approach we then collectively developed everything else together.” The recordings in Hamburg were made with a consistent, unchanging lineup. “Naturally Ragga and Haukur are very well attuned to each other”, Ratz tells, ”therefore we gave them and Egill a lot of space, also to create an equal balance between the Icelandic and our aesthetic.” At the later sessions in Reykjavík, pianist Enno Dugnus and guitarist Ingo Hassenstein were also there regularly alongside Gröndal, Ólafsson and Ratz. Burkart Ruppaner and Jón Indriðason took turns on the drums; there was an endless coming and going of various Icelandic instrumentalists at the studio.
The sound of Reykjavík combines earthy rock and transparent folk-pop, at the same time everyone involved avoids the obvious stereotypes. The song “…Lism” distinctively points the way right from the start, with gripping vocal textures, clarinet, oriental percussion and stirring rhythm. Ragga Gröndal’s and Ólafsson’s vocals and Haukur Gröndal’s flute sounds particularly poetically evoke the island-mysticism in the ballad “Fernlaternchen” and the shamanic sounding parts of “Furðudyr“. A notable highlight is also Ragga Gröndal’s atmospheric musical rendering of two verses of Heinrich Heine’s poem “Minnegruß in Þú ert sem bláa blómið”. “Lavamädchen” and “Professor Muck” develop completely different facets: here the familiar vehement Strom & Wasser-mix of harsh rap, edged funk and wild ska-punk flashes. Altogether the 19 pieces on Reykjavík exceptionally livelily recount what quality can emerge, when one concerns oneself with people, ideas and attitudes towards life from a different region. In this way Strom & Wasser’s Reykjavík is again a plea for communication and understanding in the form of sound and a successful example of what develops when different cultures meet on an equal footing.